2012


Dezember

Es gab im Dezember viele grosse und kleine Geheimnisse... Weihnachten nahte! Die Kinder bastelten in der Schule an Geschenken und wir Eltern leerten die Portemonnaies in den Läden. Ich versuchte bis jetzt den Geschenkflut an Weihnachten zu begrenzen, aber dieses Jahr wollte ich aus verschiedenen Gründen den Kindern reichlich beschenken. Hanna wurde 23. Dezember 7 Jahre alt und durfte an diesem Tag schon viele Päckli öffnen und für sie war das Warten nicht so schlimm. Mattias hingegen litt... Am Vorabend war es ihm fast übel und er hatte leicht erhöhte Temperatur. Ach, was tun wir doch unseren Kindern an :-) ! Wie jede Weihnachten kam Grosi zu uns und ich bereitete ein traditionelles schwedisches Weihnachtsessen vor (Julbord) – alles gemäss Mattias' Wunsch. Wir „erlösten“ die Kinder bereits am Nachmittag und sie spielten viele Stunden sehr glücklich und zufrieden mit ihren Geschenken.
Mattias freute sich ganz besonders über einen Lego Tecnic Unimog-Bausatz, den ihm eine unbekannte Frau aus Deutschland geschickt hatte. Sie hatte auf der Homepage von seinem schönem Erlebnis im Unimog-Museum im Herbst gelesen und wollte ihm eine Freude machen! Und das ist ihr sehr gelungen!

Die Ferientage verbrachten wir gemütlich zu Hause, ab und zu schnappten wir ein wenig frische Luft. Stundenlanges Spielen stand im Vordergrund. Hanna hatte sich stark erkältet und brauchte Ruhe, Dani hatte im Herbst viel gearbeitet und brauchte Ruhe und Mattias geniesst im allgemein die Ruhe zu Hause.
Am letzten Tag des Jahres erwachte Mattias mit starkem Husten und 39 °C Fieber. Die Alarmglocken läuten anders als wenn Hanna krank ist, obwohl er bei einer Erkrankung „zwäger“ ist als seine Schwester. Es gelang uns das Fieber mit Wickel zu senken und wir besorgten ein Hustensirup. Wenn Mattias Fieber bekommt, muss er eine Stressdosis (erhöhte Dosis) Kortison einnehmen, da der Körper bei täglicher Einnahme vom Kortison aufhört körpereigenes Kortisol zu produzieren. Eine Krankheit bedeutet für den Körper Stress und Kortisol in erhöhten Mengen würde ausgeschüttet. Bei ihm also nicht und so musste er 11 Tabletten Kortison einnehmen, 60 mg. Innerhalb von ein paar Stunden verschwand das Fieber und es ging ihm viel besser. Allerdings unterdrückt das Kortison den Infekt und er ist eigentlich kranker als er wirkt. Er muss sich ein paar Tage schonen. Den Silvesterabend war daher ruhig und gemütlich und wir gingen früh ins Bett.

Mitte Dezember lief ich den Zürcher Silvesterlauf. Mit 2600.- gesammelte Franken von Sponsoren war ich sehr motiviert unterwegs! Die Stimmung in der weihnachtsbeleuchtete Stadt war toll, nur die Strecke fand ich nicht besonders reizvoll. Viermal die gleiche Runde.

Auch Mitte Dezember fand das Elterngespräch für Mattias statt. Er durfte seine Fähigkeiten zu verschiedenen Themen selber einschätzen und traf es genau! Uns freute es enorm zu hören, dass Mattias in allen Fächern - ausser Turnen natürlich – ein wenig über dem Durchschnitt liegt, im Lesen ist er sogar ein Jahr voraus! Er ist ein aufmerksamer Schüler, ist meist motiviert und ehrgeizig und arbeitet selbständig.
Krankheitsbedingt ermüdet seine Hand beim Schreiben schnell und er braucht Pausen. Er wirke manchmal traurig, dass er nicht alle Spiele mitmachen kann, z. B. Fussball oder Zinggi. Wen wundert das??
Seine Lehrpersonen beschreiben ihn als freundlich, offen, hilfsbereit, tolerant und er respektiere alle Kinder. Er ist gut integriert und beliebt. Möge ihm schlimme Erfahrungen mit verständnislosen und respektlosen Kindern und Erwachsenen erspart bleiben!
Das Mattias lesen kann ist für seine Zukunft unglaublich wichtig und die Kenntnisse wird ihm Duchenne nicht wegnehmen, so wie sie jetzt die Kraft aus ihm saugt.

Das Wort Schattenkind (Geschwister eines behinderten Kindes) gefällt mir eigentlich nicht. Und doch ist es bezeichnend, da dieses Kind manchmal im Schatten stehen muss. Wir geben acht, dass wir beide gleich behandeln aber es gelingt uns nicht immer. Unsere Hanna wehrt sich meistens wenn sie das Gefühl hat zu kurz zu kommen. Manchmal braucht sie einfach ganz fest ihre Mama, zum Kuscheln, zum Erzählen, zum Geheimnisse teilen oder als Geborgenheit in der Nacht.
Obwohl sie und Mattias nun selten zusammen spielen, halten sie zusammen und sie sorgt sich um ihn. (Umgekehrt aber auch!) Als die beiden in der Religionsunterricht zum Singen auf die Stühle klettern sollten und Mattias nicht auf dem Stuhl neben Hanna war, hatte sie Angst er würde es nicht schaffen oder herunterfallen. Auf dem Nachhauseweg im Auto weinte sie vor Sorgen. Wir übertragen ihr die Verantwortung für Mattias nicht, die soll und darf sie nicht tragen. Deshalb wollten wir sie immer in getrennten Klassen platzieren, nur in der Religionsunterricht geht es nicht. In gewissen Momenten kommt ihre grosse Sozialkompetenz zum Vorschein und sie übernimmt die Verantwortung.

Für 2013 wünschen wir für Mattias, dass seinen Zustand stabil bleibt, dass er ansonsten gesund ist und dass die Medikamentenstudie bald anfängt und grosse Wirkung zeigt. Das Jahr 2012 endet für uns als Familie in grosser Dankbarkeit und Liebe, dass wir den Alltag mit all seinen Herausforderungen und Sorgen zusammen so gut schaffen, und dass es uns sehr gut geht.

November

Vor drei Jahren schalteten wir mattias.ch online. Durch Rückmeldungen erfuhren wir, dass es doch Einige gibt, die sich für Mattias' Leben interessieren. Das freut uns sehr und wir danken für die Treue! Ab und zu kommt trotzdem der Gedanke mit dem Schreiben aufzuhören. Gerade in solchen Momenten taucht dann häufig ein besonderes Mail in der Box auf. Jemand findet die Geschichte berührend oder erlebt grad das Gleiche. Dies stärkt jeweils die Motivation weiterzuschreiben.

Mattias' Abwärtsschub ist etwas abgeklungen und der Zustand scheint nun relativ “schlecht” stabil. In der Zwischenzeit haben wir Eltern uns einigermassen an die Veränderungen gewöhnt. Mattias hingegen ist oft frustriert, weil ihm etwas nicht mehr gelingt oder schwieriger ist als vorher. Wir glauben, dass er viel mehr über seine Krankheit und den Verlauf weiss, als er uns Preis gibt. Er möchte nicht darüber reden, sagt er uns. Das müssen wir respektieren, obwohl es manchmal schwierig ist, denn Duchenne ist ständig so präsent.
Er erzählt uns, was in der Schule läuft und auf welche Schwierigkeiten und Hindernisse er dort stösst. Die Rückmeldungen gebe ich den Lehrpersonen weiter, damit er dort unterstützt wird.
Es geht ja noch recht gut, er ist kurze Strecken zu Fuss unterwegs und macht fast alles mit. Während der Doppelturnstunde geht er in die Physiotherapie, das ist nun sinnvoller.
Was aber bringt die Zukunft? Sie macht mir Angst. Ich schiebe sie weg, so oft es geht.

Anfangs November nahm ich am Action Duchenne Kongress in London teil. Ein toller Anlass, perfekt organisiert, interessante Vorträge und Workshops! Ein sehr empfehlenswerter Kongress! Ich sprach dort mit Prosensa's Vertreterin – Prosensa macht das Exon Skipping Medikament. Die deutschsprachigen Länder sind nicht dabei, das weiss ich seit letztem Sommer. Nun erfuhr ich, dass auch Schweden nicht an der nächsten Studie teilnimmt. Damit erlosch der zentrale Hoffnungsschimmer. Und ich hatte so stark gehofft! Wir hätten einen Umzug nach Schweden und eine Trennung der Familie (Dani wäre hier geblieben) in Kauf genommen um Mattias diese letzte Chance zu ermöglichen.
Irgendwie sonderbar, aber meine Traurigkeit hielt sich in Grenzen, denn ich nahm so viel Positives vom Kongress mit nach Hause. Auf eine Art war es auch erlösend Gewissheit zu erhalten. Ständig nur zu hoffen schöpft reichlich Energie ab.
Wie mir die Vertreterin von Prosensa geraten hatte, schrieb ich trotz allem ein Mail an einen an der Studie beteiligten Professor in Paris. Aber Paris als Durchführungsort für eine Medikamentenstudie? Musste das sein? Paris befindet sich weit von uns entfernt und doch zu nah um gleich einen Umzug ins Auge zu fassen.
Die Antwort kam prompt. Und sie war positiv! Ich telefonierte sofort mit dem Professor und seine Worte klingen noch heute in mir nach. Er konnte nicht genug betonen, dass wenn es sein Kind wäre, er ALLES unternehmen würde, damit es an der Studie teilnehmen könnte. Und das machen wir! Starten soll die Studie zwischen Januar und März 2013. Noch steht eine Zusage zur Teilnahme aus. Aber ich könnte niemals mit gutem Gewissen schlafen, wenn ich diese letzte Chance für Mattias nicht mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln packen würde. Das bin ich ihm einfach schuldig.

Versteht man das als Aussenstehende? Mattias ist in seiner Krankheit gefangen, sie fesselt ihn, schwächt ihn, sein Körper wird zu seinem Gefängnis. Als Eltern sind wir machtlos gegenüber Duchenne. Geforscht wird schon länger und gehofft haben Eltern noch viel länger. Nun scheint etwas in Bewegung zu kommen. Das Exon Skipping ist keine Heilung, es ist eine Therapie, die den schweren Verlauf von Duchenne in die mildere Form Becker umwandelt. Das hoffen die Forscher. Die in London gezeigten Studienresultate sind vielversprechend. Wahrscheinlich wird Mattias aber trotz Medikamenteneinnahme sein Laufvermögen einbüssen. Doch vielleicht wird ja eine verbesserte Kraft in Armen und Händen erzielt? Nur schon um diese kleine Verbesserung zu erreichen, sind wir bereit mit Mattias wöchentlich nach Paris zu reisen – während mindestens zwei Jahren. So lange soll die Studie dauern. Wie aber wird er das schaffen? Wie organisieren wir alles? Wie sieht es finanziell aus?

Wie sagt es die Managergilde in der heutigen Wirtschaft: lösungsorientiert agieren! Und zu lösen und managen gibt es in unserer Familie inzwischen einiges. Also machen wir vorwärts und schauen in die Zukunft! Ja, wir schaffen das! Der Satz stammt von Bob der Baumeister und der ist ausreichend bodenständig, dass es auch immer klappt ;-) Au revoir!

p.s. Mattias fotografierte diesen Monat aus seiner Sicht wichtige Dinge... :-)

Oktober

Im Oktober trat die traurige Stimmung vom letzten Monat etwas in den Hintergrund, wir erfuhren Lichtblicke und spürten Hoffnung!

Apropos letzter Monat: Im September vergass ich vor Traurigkeit zu erwähnen, dass unser kleiner Mann 8 Jahre alt wurde! Kaum zu glauben, dass er gar nicht mehr so klein ist!

Über das Internet habe ich Kerstin und ihr Projekt „herzensbilder“ kennengelernt. Ihre Vision, dass alle Familien mit einem schwerkranken oder schwerbehinderten Kind ein kostenloses Fotoshooting mit einem Profifotografen haben sollen, ist sehr schön. Aber Mattias ist doch weder schwerkrank noch schwerbehindert? Dürfen wir uns anmelden? Ja, wir durften und wir haben sehr viel Wärme und Anteilnahme von Kerstin und der einfühlsamen Fotografin Luna erfahren. Das Shooting fand an einem wunderschönen Herbsttag in Weggis statt und bereitete allen viel Freude. Die Fotos gefallen uns sehr! Das war ein besonders heller Lichtblick!

Mattias und Dani machten einen Ausflug nach Gaggenau ins Unimog-Museum. Mattias liebt diese Alleskönner-Allrad-Lastwagen. Auf einem speziellen Parcours gab es sogar eine Mitfahrmöglichkeit über Stock und Stein, Treppen hoch und runter. Das war eher ein „schmutziger“ Lichtblick! Den Jungs hat's extrem gefallen.
Hanna und ich genossen es währenddessen nicht weniger. Wir badeten im Swiss Holiday Park und am nächsten Tag wanderten wir unbeschwert in den Bergen. Ich hatte fast ein schlechtes Gewissen, dass ich es als Erleichterung empfand, nicht auf Mattias und den Rollstuhl Rücksicht nehmen zu müssen.

Eine Begegnung mit einer wunderbaren Frau und ihrem Mann, die ich vorher nur über das Internet kannte, war ein weiterer Lichtblick! Der Tag bei ihnen zu Hause gab mir unendlich viel. Wie jemand nach einer solch traurigen Erfahrung (siehe sternenkinder-grosseltern.ch) so viel Kraft und Liebe für andere schöpfen kann, ist unglaublich. Wir wurden bei unserem Besuch rundum verwöhnt. Als Mattias in ihren „Hot pot“ steigen durfte und das warme Wasser spürte, war er im 7. Himmel! Er wollte natürlich gleich ein warmes Bassin zu Hause auf der Terrasse aufstellen...

Jemand, den ich nur flüchtig kenne, vernahm von Mattias' Begeisterung für Bagger und ermöglichte ihm tatsächlich eine Baggerfahrt. Mit richtigen Baggern! Er durfte einen kleinen und einen grossen Bagger bedienen und fuhr mit einem Kipplader auf dem Werkhof herum. Stolz, sehr stolz war er! Am Anfang war er etwas scheu, doch schnell taute er auf und strahlte! Ein Video vom glücklichen Baggerfahrer beweist es. Dieser Moment bedeutete viel für Mattias (und uns!). Ein Lichtblick mehr!

Mattias wechselte das Kortisonpräparat, von Prednisolon auf Deflazacort. Dieses soll als Nebenwirkung weniger Gewichtszunahme als das Bisherige haben. Ich hatte über solche Wechsel Negatives gelesen und machte mir Sorgen, wie er es vertragen würde. Nach 4 Wochen mit niedriger Dosis merken wir einzig, dass er weniger Appetit hat. Sonst scheint er es gut zu vertragen. Die Dosis soll allerdings gesteigert werden. Wir können uns dazu aber nicht entscheiden. Noch nicht. Wie viel bringt es ihm, eine hohe Dosis Kortison einzunehmen, wenn er nun sowieso schwächer wird? Der Muskelschwund kann ja durch nichts aufgehalten werden. Das Kortison half soweit. Aber wie geht es weiter?

Nach zwei Wochen Herbstferien fing die Schule wieder an. Mattias hätte die Ferien gerne um eine Woche verlängert... Er ist seit längerer Zeit erkältet und etwas reduziert. Er mag z.B. nicht an der Doppelturnstunde teilnehmen und das Laufen in die Schule, ca. 200 Meter, wird langsam auch mühsamer. Er möchte nicht mit dem Rollstuhl in die Schule gefahren werden. Er merkt, alle Kinder schauen ihn dann an – wie ein Affe im Käfig – und das mag er überhaupt nicht.

Am letzten Wochenende schneite es wie verrückt. Die Kinder waren überglücklich und spielten stundenlang draussen! Mattias redete schon so oft davon, wie es wäre mit dem Zoom im Schnee. Jetzt endlich konnte er ihn testen. Sein Urteil: einfach genial!
Mattias liebt Schnee, diesen Winter wird er es jedoch nicht leicht haben. Das Laufen mit den Winterstiefeln, den Skihosen und den vielen wärmenden Kleidern ist im Vergleich zu letztem Jahr mühsamer geworden. Fällt Mattias um, kann er jetzt nicht mehr selber aufstehen. Die Schaufel voller Schnee zu heben, ist nun eine riesige Kraftanstrengung für ihn. Und für uns ist es anstrengender geworden, ihn wieder hoch zu heben, denn er kann kaum noch mithelfen und leichtgewichtiger wurde er auch nicht.

Am Sonntag des letzten Wochenendes im Schneetreiben lief ich auch den 5 Miles Run des Lucerne Marathon. Ich habe mein Ziel, lächelnd und mit leichten Beinen ins Ziel zu laufen, erreicht! Jeder Schritt war ein Genuss und ich bin schon voller Vorfreude auf den nächsten Lauf: den Zürcher Silvesterlauf! In der Kategorie „Happy Runners“ werde ich 8.6 km zurück legen. Ganz einfach weil Joggen glücklich und zufrieden macht!
Für diesen Lauf suche ich Sponsoren! Die Einnahmen gehen vollumfänglich an die Muskelgesellschaft. Wenn du mich also mit einem kleinen oder grossen Betrag, pauschal oder pro Kilometer, unterstützen willst, freue ich mich riesig! Lade hierzu das Formular herunter, füll es aus und schick es an: Maria Fries, Grünau 3, 6206 Neuenkirch. Ich bedanke mich ganz herzlich für deine Unterstützung!

In einer Pressemitteilung las ich vor ein paar Tagen, dass Prosensa die EU-Zulassung für das Exon Skipping 45 bekommen hat. In den nächsten 6 Monaten wollen sie mit der Studie starten! Das ist Hoffnung! Vielleicht ein nächster Lichtblick? Darauf haben wir so lange gewartet, ich glaubte fast nicht mehr dran. Drückt bitte alle die Daumen, dass es für Mattias mit einer Teilnahme klappt!

„Stop wishing, start doing“. Das sollte ein Motto sein! Mein Motto? Ich hoffe, ich werde bald die Kraft haben, meine Ideen umzusetzen. Hier ein paar Links von Betroffenen, die genau DAS bewerkstelligen! Bewundernswert!
sternenkinder-geschwister.ch
sternenkinder-grosseltern.ch
herzensbilder.ch
maeloetterli.ch

September

Leer und traurig, klein und machtlos, so fühlen wir uns. Wir sind am Punkt angelangt, wo wir sehr stark fühlen, dass es nur noch abwärts geht. Die unbeschwerteren Jahre scheinen vorbei zu sein.
Unsere Grundstimmung ist bedrückt. Es gibt schon Momente, in denen wir die Scheisskrankheit vergessen und glücklich und fröhlich sind, in diesem Monat konnten wir sie etwa an 10 Fingern zählen.
Wir haben nie an Wunder geglaubt – der Verlauf der Krankheit ist bekannt und über den Stand der Forschung sind wir informiert. Vor allem ich hatte aber grosse Hoffnung in die Medikamentenstudie von Exon Skipping 45. Sie hat leider immer noch nicht angefangen. Sie wird schon kommen, nur ist es dann für Mattias wohl zu spät. Eine der Aufnahmebedingungen ist ein 6 Minuten-Lauf. Seine Kräfte schwinden nun allerdings schneller, seit im Sommer gab es einen richtigen Abwärtsschub. Startet die Studie nicht bald, ist seine Zeit so gut wie abgelaufen.

Mattias wirkte im zurück liegenden Monat nachdenklich. Er gab viele Kommentare wie: „Ich werde eh nicht stärker, egal wie viel ich trainiere“. Sein fröhliches Wesen wirkte ernster. Vielleicht war er nur müde und brauchte Ferien von der Schule?

ALLES ist für ihn anstrengender geworden. Es fängt morgens mit dem Aufsitzen im Bett an, was ihm nicht mehr immer gelingt. Weiter geht es mit Anziehen. Er kommt fast immer und bittet um Hilfe, Hosen, Socken und Pullover anzuziehen. Dann läuft er in die Schule. Den Rucksack – obwohl nur ein dünnes Mäppchen und das Znüni drin sind, empfindet er als schwer. Selten steigt er nun die Treppen hoch, öfters läuft er die Rampe hinauf. Im Schulhaus benutzt er den Lift. Rucksack, Jacke und Schuhe ausziehen geht noch. In die Schule geht er gerne, er kann sich aber nicht immer lange konzentrieren. Viel Schreiben ermüdet seine Hand sehr.
In der Pause sitzt er häufig mit einem Gschpändli auf einer Bank und schaut den herum springenden Kindern zu. Die Mittagspause zu Hause braucht er um auszuruhen. Er spielt nach dem Mittagessen, meistens liegend oder halb sitzend auf dem Teppich in seinem Zimmer. Zweimal in der Woche hat er nachmittags Schule. Die Turntasche trägt er nie mehr selber, die ist zu schwer geworden.
Abends ist wieder das Ausziehen schwierig. Jede zweite Nacht muss er mit den Unterschenkelorthesen schlafen. Er protestiert nicht gross, er zieht sie an, wenn wir es ihm sagen. Uns dünkt, er nimmt das Schicksal einfach so an. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Ob das immer so bleibt?

Aus irgendeinem Grund schöpfe ich sehr viel Kraft aus dieser tiefen Traurigkeit, ganz nach dem Motto: „Alles was ich mache, mache ich für dich, mein Sohn“. Sollte es darauf ankommen, würde ich wie eine Löwin für ihn kämpfen.

Am 13. September um 23.25 Uhr vor 8 Jahren wurden wir Eltern von einem Buben, 52 cm lang und 4130 Gramm schwer. Wir nannten ihn Mattias. Auf der Apgarskala bekam er sehr gute Noten: 4-9-10. Von uns bekommt er heute die besten Noten. Mattias ist ein wunderbarer, einfühlsamer und liebevoller kleiner Mensch. „Wir lieben dich unglaublich, Mattias! Es tut uns so weh, dir nicht helfen zu können. Wir versprechen dir, alles Mögliche zu unternehmen, damit wir die besten Eltern für dich sind, denn du hast uns ausgewählt dich auf deinem Weg zu begleiten. Auch wenn wir nicht immer stark sein können, unsere Liebe ist riesig“. / Deine Mama und dein Papa

Juli und August

Gedanken und Aussagen hier und da...

„Ich glaube, ich bin der glücklichste Junge auf der Welt!“, sagt ein dankbarer und fröhlicher Mattias, nachdem wir den Zoom abgeholt haben.

„Falls ich an der Studie für ein neues Medikament teilnehmen darf, werden dann meine Waden und Oberschenkel schlanker?“ Ihn stören sie. Es sind die Nebenwirkungen des Kortisons, die sich als Fettablagerungen zeigen.

„Welcher Fuss ist nicht mehr so dehnbar?“ „Der linke Fuss sagte der Doktor“. Mattias zieht die Lasche der Nachtschenkeltorthese am linken Fuss fest an, sehr fest, fast in Verzweiflung. In der Hoffnung, dass die Achillessehne so gedehnt wird, dass sich diese nicht mehr verkürzt?

„Mama, ich will nicht mehr das Spiel spielen! Ich mag nicht rennen“. Nach zwei Minuten herum rennen mit anderen Kindern kommt Mattias weinend zu mir.

„Darf ich bitte im Auto bleiben? Ich mag nicht im Laden laufen“. Nach einem Nachmittag mit Baden und Spielen am See wollen wir einkaufen. Es ist viel zu heiss um im Auto zu bleiben, auch mit offenen Fenstern. Irgendwie schaffe ich es, 32 Kilo Mattias in den Einkaufswagen zu hieven, damit er sitzen kann.

„Ich merke, dass meine Beine schwächer geworden sind. Vor den Sommerferien, als ich diese Strecke gelaufen bin, wurde ich nie müde“, sagt Mattias als wir in die Bibliothek laufen.

„Am Meisten wünsche ich mir, dass ich keine schwachen Beine hätte, Mama.“

Die Antwort von Dr. Kirschner in Freiburg i. B. auf die Frage, ob sie an der Exon Skipping 45-Studie teilnehmen werden, lautet: „Eine Beteiligung Deutscher, Schweizer oder Französischer Studienzentren an Exon Skipping 45 Studien ist aktuell nicht absehbar.“

Ist es wichtiger zum Planeten Mars reisen zu können um dort nach Leben zu suchen, wenn die auf der Erde vorhandenen Leben nicht gerettet werden können? Die Kosten für die Marsmission betragen etwa zwei ein halb Milliarden Dollar!!! 2.5 Milliarden Dollar. Ich glaube, dass die Forscher bereits eine Lösung für Duchenne und andere Krankheiten gefunden hätten, wenn sie so viel Geld zur Verfügung hätten. //

Die letzte Schulwoche ging schnell vorbei und beide Kinder waren ein bisschen traurig über das Ende des ersten Schuljahrs. Am ersten Ferientag starteten wir unsere Reise nach Schweden via das Legoland in Dänemark. Die zwei Tage im Legoland haben uns solala gefallen. Sehr hohe Preise, dauernd Regen und kühles Wetter drückten auf die Stimmung. Trotzdem gab es viele Leute und das Vorwärtskommen mit dem Rollstuhl war entsprechend mühsam.
Wir fuhren dann zu den Grosseltern weiter. Es war schön, sie wieder zu sehen, wie auch meinen Bruder und meine Schwester mit ihren Familien.
Endlich holten wir den Zoom ab! Welch Glück! Dani, der den Zoom vorher nie gesehen hatte, wurde gleich Feuer und Flamme! Und Mattias strahlte den ganzen Weg nach Hause. Sein Zoom...
Als es nach zwei Wochen mit Regen jeden Tag doch noch sonnig und warm wurde, fuhren wir mehrmals an die Küste um zu baden und das Meer zu geniessen. Dani war bereits nach Hause geflogen, die Arbeit wartete auf ihn.
Die Kinder und ich hatten schliesslich so starkes Heimweh, dass wir uns entschieden kurzfristig nach Hause zu fahren. Ich glaubte erst nicht, dass alles im Auto Platz finden würde: Zoom, Rampen für den Zoom, Rollstuhl und sogar mein alter Puppenwagen für Hanna! Doch alles liess sich verstauen.
Es ging sehr gut, die 1'600 Km zu fahren. Natürlich war es anstrengend für uns alle, aber die Kinder haben ganz toll mitgemacht. Leider hat Mattias während der letzten Woche in Schweden irgend ein Bakterium eingefangen. So hatte er während der Fahrt starke Bauchkrämpfe und Durchfall. Wir besuchten sehr viele Toiletten entlang der Deutschen Autobahn – eine spezielle Art von Sightseeing...

Seit zwei Wochen gehen Mattias und Hanna nun in die zweite Klasse! Mattias konnte am Abend vor Schulbeginn nicht einschlafen und am nächsten Morgen brachte er keinen Bissen hinunter, so nervös war er. In seiner Klasse fingen 10 Erstklässler an, geblieben sind seine sieben Gschpändli des letzten Jahrs. Er hatte Angst, weil die neuen Kindern nichts von seiner Muskelkrankheit wussten und sie ihn vielleicht umstossen könnten. Den ersten Tag blieb ich bei ihm im Klassenzimmer. Am zweiten Tag wurden die Kinder informiert und Mattias kam erleichtert nach Hause: „Jetzt wissen es alle Kinder!“

Mattias benutzt den Zoom oft. Wir fahren Velo und Mattias ist mit dem Zoom dabei. Ich jogge und er fährt neben mir im Zoom. Im Wald fährt er während Spaziergängen. Er mag es, wenn die Unterlage uneben ist und es viel Dreck gibt! Der Zoom hat nicht umsonst Allradantrieb. So führt der Heimweg nicht selten durch den Waschplatz in der Tiefgarage. Für ihn ist es eine grosse Freiheit dort fahren zu können, wo er möchte. Manchmal ist er der Schnellste – was für ein neues Gefühl für ihn, da er ja sonst immer der Letzte ist! Und auch unsere Freude ist riesig! Wir sehen, wie glücklich und selbständig er mit seinem Zoom ist. Es ist auch eine grosse Erleichterung für uns ihn nicht mehr im Dreiradwagen stossen zu müssen. Er ist schwerer geworden. Viele Wege stehen uns nun offen! Ein Freund fotografierte Mattias im Zoom – schaut her! Ein Foto gelangte zur Herstellerfirma in Schweden und sie waren davon ganz begeistert und wollen es nun für eine Broschüre verwenden...

Wie viel von Mattias' Krankheit beeinflusst meine Gemütslage? Ist es möglich eine Grenze zwischen seinem und meinem Leben zu ziehen? Ich habe manchmal Mühe mich selber im Chaos zu finden. Ich schwimme, komme aber nie ans Land, ich kann nie ausruhen und mich erholen. Jedes mal wenn ich eine Veränderung bei Mattias entdecke, dreht das Hamsterrad schneller und schneller und ich komme nicht raus. Panik und Verzweiflung packen mich dann. Unruhe und Rastlosigkeit breiten sich aus. Eigentlich habe ich das Gefühl, die Krankheit und das Leben realistisch einzuschätzen. Und trotzdem... Habe ich nicht begriffen, dass es Mattias schlechter gehen wird? Will ich es nicht einsehen? Selten finden meine Gefühle den Weg nach aussen. Manchmal tut es gut, in Danis Armen zu weinen und mich trösten zu lassen und zu spüren, dass ich nicht alleine bin. Mattias' Krankheit ist eine Belastung für unsere Beziehung. Wir haben immer miteinander darüber reden können und sind sehr offen und ehrlich zueinander. Das hat unsere Beziehung vertieft, glaube ich.

Vor den Sommerferien machte mich jemand auf herzensbilder aufmerksam. Ich telefonierte gleich mit der Gründerin um mehr zu erfahren. Ihre Geschichte und ihre Beweggründe für dieses Projekt haben mich sehr berührt. Unser Termin für ein Shooting steht, wir sind gespannt...

Im Übrigen warten wir weiter. Wir warten auf die Stoppmedizin, Exon Skipping 45. Währenddessen schreitet die Krankheit langsam voran, saugt die Kräfte aus Mattias' Körper, fesselt ihn bis sie ihn tötet. Und wir können gar nichts machen um das zu verhindern!

Juni

Die Muskelgesellschaft und Lions Club haben Anfang Monat Behinderte und ihre Angehörigen in den Zirkus nach Richterswil eingeladen. Mattias, Hanna und ich haben diese Gelegenheit genutzt und wir erlebten eine überaus spannende Vorstellung. Heiss, sehr heiss war es an diesem Tag und bevor wir nach Hause fuhren, badeten wir deshalb die Füsse im Zürichsee.

An einem Sonntag trafen sich ein paar Duchenne-Familien aus der Selbsthilfegruppe bei einer Familie zu Hause. Zuerst wollten wir einen Ausflug mit einer kleinen Wanderung unternehmen. Es ist nicht einfach eine Strecke zu finden, die auch mit dem Elektrorollstuhl machbar ist, dazu noch ein Restaurant, das entsprechend eingerichtet ist. Nun war die Wettervorhersage für diesen Tag nicht besonders toll und wir liessen die Wanderung sein. Dafür verbrachten wir einen sehr gemütlichen Nachmittag mit gutem Essen, viel Lachen und lieben Leuten. Herzlichen Dank!

Mattias ging auf die Schulreise mit dem Rotsee in Luzern als Ziel. Am Vormittag rief mich seine Assistentin an, sein Dreiradwagen sei kaputt, die Parkbremse blockiert und ein Weiterkommen nicht mehr möglich. Ich war gerade unterwegs, fuhr also sofort nach Hause und holte den Rollstuhl. In der Zwischenzeit hatte sich Mattias entschieden mit der Klasse zu LAUFEN. Er wollte auf keinen Fall die Fahrt mit der Fähre über den Rotsee verpassen. Er hat das ganz gut geschafft, unser Mattias! Motivation ist wichtig, wenn man etwas erreichen möchte.
Der Dreiradwagen wurde inzwischen repariert und wir möchten ihn nun verkaufen. Der Wagen war für Spaziergänge über Stock und Stein, im Matsch, im Schnee und zum Joggen unentbehrlich und genial! Die IV hat sich an den Kosten nicht beteiligt, wir kauften ihn 2008 privat. Interesse? Bitte mit uns über maria@mattias.ch Kontakt aufnehmen, wir senden auch gerne Fotos.

Während sechs Monaten habe ich einen Kurs besucht: „Familienfrau – auf zu Neuem“. Der Kursinhalt, u.a. Standortbestimmung, hat mir viel gebracht. Letztes Jahr stellte ich vieles in Frage. Was kann ich? Was will ich? Nun sehe ich meinen Weg, meine Ziele viel klarer. Einer Berufstätigkeit nachzugehen, das muss noch nicht sein. Strahlende Kinderaugen beim Mittagessen sind mir viel mehr Wert, geradezu unbezahlbar.
Ich bin als Mama und Hausfrau ausgelastet. Und meistens zufrieden!
Ich bin mir bewusst, dass es viele Frauen gibt, die arbeiten müssen, weil es die finanzielle Situation nicht anders erlaubt. Deshalb schätze ich unsere Situation umso mehr.

Dani besuchte das "Festival of Speed" in Goodwood, UK. Ein unglaubliches Erlebnis, wenn man Classic Cars und the english style mag. Auch Dani braucht Kraftquellen in seinem Leben, wo er auftanken kann. So wenig wie er mit meinem Joggen anfangen kann, sagt mir dieses Altmetall zu. Wichtig ist es für uns, einander diese Freiräume zu geben um in der Zeit etwas nachzugehen, das einem am Herzen liegt.

Mattias durfte ins Spital für eine Kontrolluntersuchung. Zum ersten Mal wurde die Lungenfunktion gemessen. Die Werte liegen alle im Normalbereich. Mit der Ärztin sprach ich über seine Gewichtszunahme und einen Wechsel zu einem anderen Cortisonpräparat. Calcort führt weniger zu Gewichtszunahme, Mattias nimmt seit Anfang Prednisolon. Einen Entscheid werden wir nach den Ferien treffen. Ebenfalls war eine Augenkontrolle fällig, auch hier war alles in Ordnung.

Mattias spielte eines Abends alleine in der Badewanne. Er mischte kaltes und warmes Wasser. Was er da mache, habe ich gefragt. Er mache ein Medikament gegen schwache Beine, sagte er. Manchmal möchte ich in sein Inneres hineinschauen können um zu erfahren, was sich dort alles bewegt, welche Gedanken er denkt, aber nicht ausspricht.

Nun warten Sommerferien auf uns! Wie letzten Sommer werden die Kinder und ich für ein paar Wochen in Schweden bleiben. Wir wünschen einen schönen Sommer und melden uns wieder Ende August! Denkt daran, viele schöne Erlebnisse zu sammeln. „The only things you take with you, when you leave this world are the things you've packed inside your heart.“ (Susan Gale)

Mai

Seit August letzten Jahres geht Mattias regelmässig zu einer Schwimmlehrerin. Obwohl er nach dem ersten Mal nicht mehr hin wollte, denn es gefiel ihm gar nicht, wollte ich nicht so schnell aufgeben. Jetzt taucht er und kann fast auf dem Rücken liegen und im Wasser schweben. Brustschwimmen zu lernen scheint dagegen schwierig zu sein. Aber es spielt keine Rolle, ob er schwimmen lernt oder nicht, denn er hat keine Angst mehr vor dem Wasser. Er geniesst es wirklich und ist ständig in Bewegung. Nach einer halben Stunde ist er dann recht müde!

Mattias liest nun fast fliessend auf Deutsch. Eine neue und spannende Welt öffnet sich für ihn! Er kann während eines Wochenendes 8 bis 10 Bücher verschlingen (Bücher für das erste Lesealter). Er liest fast alles, seine Interessen sind breit gestreut. Im Winter hat er noch gesagt, er könne nicht auf Schwedisch lesen, die Buchstaben seien zu schwierig auszusprechen. Dann, irgendwann nach unserem Besuch in Schweden über Ostern, konnte er auf einmal auch das, einfach so.

Seit Herbst hat Mattias eine Liftphobie. Hier im Haus ging es gut, aber fremde Lifte: keine Chance. In der Schule kämpft er sich die Treppe zum Schulzimmer im ersten Stock hoch. Wir redeten mit ihm, wie es nächstes Jahr sein könnte. Vielleicht würden seine Beine ja nicht immer so laufen mögen. Ob er es nicht wieder mit dem Lift im Schulhaus versuchen möchte? Nein, das wolle er nicht. Am liebsten würde er im Schulhaus wohnen (wie die Kinder des Schulhausabwarts) und sein Klassenzimmer ins Parterre zügeln. In seiner Klasse (Mischklasse 1. und 2. Schuljahr) läuft es bestens und die Gschpändli sind ihm sehr wichtig. Die Zimmer können auch nicht einfach so gewechselt werden. Unser Ziel ist sowieso, dass Mattias problemlos Lift fährt. Wir erfuhren dann, dass Mattias‘ bester Freund seit dem Kindergarten in Mattias' bestehender Klasse anfängt. Das motivierte ihn, im ersten Stock zu bleiben und wieder mit dem Liftfahren zu probieren! Zwei Wochen fuhr er morgens mit mir. Inzwischen fährt er mit Hanna und es klappt prima! Eine grosse Erleichterung für ihn, wie auch für uns! Wir fragten uns, weshalb es nun klappt, aber nicht lange. Es reicht zu wissen, dass sein bester Freund genug Motivation ist für ihn.

Hanna und ich besuchten Anfang Mai den Love Ride in Dübendorf. Die Einnahmen aus diesem Anlass gehen vollumfänglich zu Gunsten Muskelkranker. Es ist ein toller Anlass mit unzähligen Motorrädern, vielen Lederklamotten und fetzigem Hardrock!

Über Pfingsten fuhr die ganze Familie an den Genfer See nach Le Bouveret. Dort gibt es den Swiss Vapeur Parc. Einen ganzen Vormittag sind wir mit den verschiedenen Züglis gefahren. Danach waren wir am Strand und die Kinder spielten im Sand. Das Wasser war etwas zu kalt, nur 13 °C, aber der Pool dafür umso wärmer, 15 °C! Freunde von uns haben die ganze Saison ihren Wohnwagen auf dem dortigen Camping stehen und sie luden uns spontan zum Abendessen ein. Nach dem Essen spielten Mattias und Hanna mit anderen Kindern und sie wollten gar nicht nach Hause aufbrechen. Auf der Heimfahrt träumten wir – na ja, vor allem ich – von einem Wohnwagen und einem Sommer am Genfer See. Am liebsten würde ich es sofort umsetzen! Denn, wie geht es Mattias im nächsten Sommer? Er liebt es im Sand zu sitzen und zu spielen, Wasser holen, ins Wasser gehen und baden, dann wieder zum Strand und weiterspielen. Kann er in einem Jahr immer noch selber aufstehen? Sollten wir es nicht JETZT machen, falls die Möglichkeit besteht?!? Selber habe ich die Pfingsttage ebenfalls sehr genossen. Nur zu „sein“, nichts „sollte“ oder „musste“, diese Pflichten hatten wir zu Hause gelassen!

Mattias ist sich sehr bewusst, dass sein Körper schwächer und schwächer wird. Er spürt es und sagt es uns auch. Bis jetzt hatte Mattias ein halbhohes Bett (120 cm) mit Leiter. Kürzlich wollte er das Bett senken, denn es ist ihm zu mühsam geworden, die 4 Tritte hochzuklettern. Nun, im normal hohen Bett, fühlt er sich deutlich wohler.
In der Schule führten sie einen Sporttag durch. Mattias freute sich sehr auf diesen Tag, er war richtig nervös! Der Tag war ein Erfolg, Mattias hat vieles mit Hilfe seiner Assistentin ausprobiert. Als er nach Hause kam, legte er sich gleich auf den Boden vor Erschöpfung. Er erholte sich zwar schnell wieder, aber der Nachmittag wurde für ihn sehr ruhig. Am nächsten Tag sagte er mir: „Mama, ich wünschte, ich wäre normal wie die anderen Buben in meiner Klasse.“
Mattias fällt nun öfters um. Einfach so, ohne Fremdeinwirkung. Die Beine tragen ihn plötzlich nicht mehr oder die Füsse knicken weg. Ich fragte ihn, ob er deshalb Angst hat, wenn er draussen spielt, Angst plötzlich umzufallen. Seine Antwort hörte sich so abgeklärt an: „Nein Mama, ich habe keine Angst, aber ich bin mir bewusst, dass es passieren kann.“
Mattias weiss, dass es eine kleine Chance gibt, den Krankheitsverlauf mit einem neuen Medikament zu bremsen, dass das Medikament zuerst getestet werden müsste und dass, falls er die Chance bekäme an der entsprechenden Studie teilzunehmen, wir ohne Papi nach Schweden ziehen müssten. Er und Hanna müssten dann dort zur Schule gehen. Obwohl er vor Spritzen Angst hat (und das Medikament würde wöchentlich gespritzt), stände für ihn eine Teilnahme an der Studie ausser Frage.

Joggen ist zu meiner Kraftquelle geworden. Wenn die Beine in Bewegung sind, lösen sich die schweren Gedanken auf und ich tanke Energie und frische Luft. Ich hatte mir für den Herbst ein Ziel gesetzt – einen Halbmarathon zu laufen. Die Strecke absolvierte ich nun bereits Mitte Mai. Ich, die immer unsportlich war, weder Ausdauer noch Kraft hatte, schaffte es mit regelmässigem Training seit Anfang Jahr mein Ziel zu erreichen.
„I run because it's a gift to do so.“ Laufen ist nicht selbstverständlich, das sollten wir uns bewusst sein. Geniesse deine gesunden Beine und bewege sie! Sehen wir uns im Herbst am Luzerner Marathon??

P.S. Der Zoom ist bestellt und im Juli holen wir ihn! Ratet mal, ob Mattias glücklich ist?!? Wenn seine Vorfreude ein Massstab ist…

April

Mit einem ständigen Begleiter wie Duchenne in der Familie hat man keine Möglichkeit den Weg selber zu bestimmen. Der ist quasi bereits vorgegeben. Es tut weh zu sehen, wie sich Mattias' Körper langsam zu verändern beginnt, wie die Krankheit ihn zeichnet. Wir sehen auch, wie das Kortison nach nun gut 4 1/2 Jahren seine Spuren hinterlässt. Wir wissen, dass er nur noch ein paar Jahre laufen wird. Und wir sind machtlos.

Wir sind sehr dankbar, dass ich mit den Kindern zu Hause sein kann. Miterleben zu können wie Mattias und Hanna aufwachsen und sich ihre Persönlichkeiten entwickeln, ihre Gedanken und Erlebnisse, Freuden und Sorgen im Alltag teilen, ihnen Geborgenheit und Liebe schenken, all das ist ja das LEBEN – mit oder ohne Krankheit. Es verlangt aber ein bisschen mehr von uns als Eltern eines kranken Kindes. Psychisch und physisch. Und vielleicht habe ich davor Angst. Angst vor der Verantwortung, die auf meinen Schultern liegt. Ich will ja alles richtig machen.

Nach drei Besuchen beim Orthopäden mit Gipsabdruck und Anpassungen hat Mattias nun wieder Nachtlagerungsschienen. Er soll sich zuerst tagsüber an sie gewöhnen, bevor er sie in der Nacht trägt.

Die Kinder und ich flogen kurz vor Ostern für fast zwei Wochen nach Schweden. Es war sehr schön, die Familie wieder zu sehen! Die Cousine der Kinder ist nun gut 3 Jahre alt und sie spielten sehr gerne zusammen. Hanna hat es gefallen, die „grosse“ Schwester zu sein – sie, die gerne eine kleine Schwester hätte... Mattias findet die Cousine soo herzig! Mit meinen Eltern und Geschwistern sowie deren Familien verbrachten wir viel Zeit. Es ist intensiv, wenn man sich selten sieht. Manchmal wünsche ich mir, wir würden näher bei ihnen wohnen. Spontan zusammen etwas unternehmen oder einfach nur den Halt der Familie spüren.

Mattias testete einen Zoom (Siehe Video). Das „Ding“ ist echt cool! Ich habe auch eine Probefahrt gemacht und kann die Freude am Fahren nur bestätigen. Für Mattias, der Technik und alles was sich auf Rädern fortbewegt über alles liebt, wäre der Zoom ein Transportmittel für Wald und Schnee und ein (teures!) Spielzeug... Am Liebsten würde ich sofort zurückfahren und einen nach Hause bringen. Aber... die schweizerischen Bestimmungen machen es uns nicht einfach. Wir bleiben dran und ganz ausgeschlossen ist es nicht, dass wir im Sommer mit einem Zoom aus Schweden zurückkehren.

Die schwedische Muskelgesellschaft organisierte einen Kongress in Göteborg, an dem ich teilnahm. Es war interessant, obwohl ich Vieles bereits kannte, vor allem über Exon Skipping. Zu diesem Thema sprach Annemieke Artsmaa-Rus. James Poysky, ein Neuropsychologe aus den USA, hielt einen Vortrag über das Verhalten von Jungen mit DMD, Lernschwierigkeiten und „psychosocial care“. Das war sehr informativ.

Ich redete mit Dr. Mar Tulinius, der in Göteborg für die Exon Skipping-Studie 51 verantwortlich ist. Leider habe ich nichts Neues über die Skipping-Studie 45 erfahren. Es hängen sehr viele „vielleicht“ und „eventuell“ in der Luft.
Ich traf auch ein paar Eltern, die ich über die Facebook-Gruppe für DMD-Eltern kennen gelernt habe. Es war sehr schön mit ihnen zu plaudern. Man hat ja so viel gemeinsam...

Die Kinder und ich nahmen am 35. Luzerner Stadtlauf teil. Hanna bereits zum fünften Mal! Mattias sass in seinem Wagen, denn die 1.5 km sind zu weit für ihn zum Laufen. Es macht immer Spass teilzunehmen, das Wetter spielte mit und es war eine tolle Stimmung in der Stadt. Selber bestritt ich am Abend auch einen Einzellauf, angefeuert von der Familie! Sagen wir so: ich wurde nicht Letzte, aber es fehlt noch viel Training, bis ich für den Halbmarathon im Herbst fit bin...

Eine Woche vor dem Lauf erschien in der Sonntagsausgabe der Neuen Luzerner Zeitung ein Bericht über Mattias. Wer ihn verpasst hat, kann ihn hier lesen: Teil 1 und Teil 2.

März

Der Monat ist wie im Fluge vorbei gegangen! Der Frühling macht sich breit, die milden Temperaturen und die Sonnenstrahlen tun uns gut. Endlich nicht mehr so viele Kleider anziehen, meinte Mattias. Er hatte diesen Winter mehr Mühe als früher, sich mit dicken Hosen, Jacke und Winterschuhen zu bewegen.

Mattias und ich nahmen an einem Familien-Skiwochenende der Duchenne-Elterngruppe Basel teil. Die Duchenne-Buben fuhren Dualski, was allen sehr gut gefallen hat. Die ungezwungene Atmosphäre, das warme und sonnige Wetter, die fröhlichen Kinder, die guten Gespräche, das viele Lachen – dieses Wochenende bleibt in guter Erinnerung und wird nächstes Jahr hoffentlich wieder stattfinden!
Die Begegnung mit älteren Duchenne-Buben hat bei Mattias ein paar Fragen ausgelöst. Über den Elektrorollstuhl mit sechs Rädern wollte er mehr wissen! Weshalb könne „X“ nicht mehr laufen? Ich dachte allerdings, er würde mehr fragen. Vielleicht ist für ihn ja vieles schon klar, mehr als wir zu wissen glauben.

An einem Abend schauten wir uns zusammen Bücher über die Polizei und Feuerwehr an. Feuer löschen wäre spannend, sagte Mattias. Er wäre gerne Feuerwehrmann, wenn er gross ist. Das könne er aber nicht machen, da ihm die Kraft fehle, den Schlauch zu halten. Er müsse dann halt im Büro der Feuerwehr vor dem Computer arbeiten. Über diese Einsicht mit seinen erst 7 1/2 Jahren staune ich. Er weiss, dass er nicht geheilt werden kann, er weiss auch, dass er nicht stärker wird. Ihn wirklich aufgeklärt über seine Krankheit haben wir noch nicht, da wir der Meinung sind, er wird fragen, wenn er für die Antwort bereit ist.

Seine Krankheit war diesen Monat häufig ein Thema. Wir redeten über die Medikamenten-Studie und was es für ihn bedeuten würde daran teilzunehmen. Leider ist immer noch sehr wenig über die Studie bekannt. Ich bohre überall nach, lasse nicht locker. Vielleicht gibt es 2013 eine Möglichkeit in Göteborg, Schweden, daran teilzunehmen. Das würde für uns bedeuten, dass wir für ein bis zwei Jahre dorthin ziehen.
Als wir die Diagnose vor bald fünf Jahren erhielten sagte Dani: „Jetzt können wir zusehen wie er langsam stirbt.“ Doch wir können nicht einfach tatenlos zusehen, wie die Monate vergehen und er schwächer und schwächer wird, wenn es vielleicht bald eine Chance gibt, den Verlauf seiner Krankheit ein wenig zu bremsen.

So wie Mattias‘ Zustand aktuell ist, wäre es fast schon perfekt für uns und wir würden wohl über längere Sicht klar kommen. Aber die Vorstellung, dass sich sein Zustand weiter verschlechtert, ist einfach unerträglich. Er ist so ein feiner kleiner Mann.

Februar

Wir sind mit Mattias beim Elterngespräch gewesen. Es läuft für ihn gut in der Schule! Er rechnet lieber als er schreibt, da seine Hand beim Schreiben schnell ermüdet. Er liest gut und macht das auch sehr gerne. Im Turnen kann er natürlich nicht mithalten, aber er macht, was er kann und durchhält. Im Turnen ist jeweils eine Assistentin dabei um ihm zu helfen.

An der Fasnacht sind wir natürlich auch gewesen! Die Kinder lieben die Fasnacht, die Beine zucken, wenn sie die Musik hören und es ist ihnen wichtig sich zu verkleiden. Aber warum findet die Fasnacht mitten im Winter statt?? In Brasilien können sie im Bikini feiern und tanzen, während wir Thermounterwäsche, Skihosen und -jacke anziehen müssen. Wir haben wie dicke Würste ausgesehen, als wir fertig angezogen waren...

Die Kinder dürfen seit Anfang Jahr meinen alten Laptop benutzen. Ich zeigte ihnen ein paar Spiele. Bis dahin wussten sie nur, dass man mit dem Laptop schreiben, telefonieren und Filme schauen kann. Sie fanden die Spiele sehr spannend. Wir setzten eine Grenze von 15 Minuten pro Kind und Tag und das wird eingehalten. Wir möchten nicht, dass Mattias von der Computerwelt dermassen fasziniert wird, dass er nichts mehr machen möchte, als vor dem Bildschirm zu sitzen. Er kann sich immer noch bewegen, er spielt mit Lego und Playmobil, er fährt mit seinen Autos über den Boden, bewegt sich auf dem Spielplatz, usw. Wir sind der Meinung, dass er den PC automatisch besser kennenlernen wird, wenn es nötig wird. Und der Computer wird einer seiner besten Freunde in der Zukunft sein, dass wissen wir. Aber jetzt noch nicht... es gibt noch so viel zu tun und zu entdecken!

Während einer Woche waren wir in Bellwald, so wie letztes Jahr auch. Wir wählten es erneut, weil Mattias dort die Möglichkeit hat Ski zu fahren – Dualski. Wir buchten einen Skilehrer und dieser fuhr jeden Nachmittag zwei Stunden mit Mattias. Mattias liebt es! Es sieht so einfach und schnittig aus, wenn sie die Piste hinunter sausen, egal ob sie schwarz oder eher flach sind. Ich würde es gerne lernen, aber ich glaube, dass ich nicht gut genug Ski fahre, ich fühle mich zu unsicher.

Hanna fuhr während dem mit mir Ski. Sie machte grosse Fortschritte, nachdem sie am Montag ein paar Stunden mit einer Skilehrerin unterwegs war. Am nächsten Tag sagte sie zu mir: „Mama, jetzt bin ich deine Skilehrerin!“ Ich musste hinter ihr fahren, kniend, im Stemmbogen, auf einem Bein, auf die Seite lehnend, usw. Das machte richtig Spass!

Während der Ferienwoche beobachtete ich Mattias sehr intensiv. Ich nahm so vieles wahr, das er nicht kann. Es war wie eine Bruchlandung nach einem sehr schönen Flug. Habe ich die Augen während so langer Zeit verschlossen gehalten? Habe ich mir eingeredet, es ist alles gut mit ihm und mich geweigert zu sehen wie es wirklich um ihn steht? Ist das eine Art von Schutz, den ich aufgebaut habe um hier und jetzt leben zu können? Es tat weh, es tat sehr weh zu landen.

Mattias‘ grosse Leidenschaft sind Lego-Bausätze. Er kann lange mit der Anleitung sitzen und schwierige Bausätze zusammenbauen. Mittlerweile ist es für ihn recht schwierig, die Teilchen zusammen zu fügen oder aus einander zu nehmen. Er sagt selber, er habe keine Kraft in den Händen.
Wir mieteten eine gemütliche Wohnung im dritten Stock in einem Chalet. Mattias konnte nicht die Treppe hoch laufen. Ski-Overall und die dicken Schuhen raubten zu viel von seiner Kraft und Beweglichkeit. Deshalb zogen wir ihn unten am Eingang aus und er krabbelte auf allen Vieren hoch.
Mattias liebt es im Schnee zu spielen. Jetzt war es für ihn schwierig sich im Schnee zu bewegen. Hanna kletterte die Schneehaufen hoch und rutschte runter. Mattias kam nicht hoch und ich konnte ihm nicht helfen, denn inzwischen ist er zu schwer geworden.
Als wir Mattias einmal im Dualski-Schlitten anschnallten, kam ein gleichaltriger Junge auf uns zu und fragte, weshalb Mattias im Schlitten sitze. Muss ich erklären oder kann ich die Frage ignorieren? Ich antwortete, dass Mattias schwache Muskeln habe und nicht auf Skiern stehen könne und deshalb mit dem Skilehrer in diesem Schlitten fahre. Durch das Erklären wurde es mir wieder schmerzhaft bewusst, was Mattias aufgrund seiner Krankheit alles nicht kann!

Ich glaube nicht an Wunder. Ich habe grosse Hoffnung, dass das Exon Skipping den Verlauf der Krankheit einmal bremsen kann. Ich glaube fest daran, dass es Mattias' Chance ist, seine einzige Chance. Und deshalb strebe ich danach, dass er an der Studie von Exon Skipping 45 teilnehmen darf. Ich will nicht, dass wertvolle Jahre vergehen bis das Medikament auf den Markt kommt. Die Uhr tickt – gegen Mattias. Die Krankheit zu bremsen ist JETZT wichtig. Ob es wohl eine Grenze gibt, wie viel ich bereit bin, dass Mattias durchmachen müsste? Bin ich so verzweifelt und habe meine ganze Hoffnung in die Studie gesetzt? Bin ich bereit sehr viel dafür zu opfern? Wenn du ein Kind mit einer unheilbaren Krankheit hättest und es gibt eine Chance auf Verbesserung seiner Lebensqualität, würdest du die Chance packen, auch wenn es heisst, die Familie auseinander zu reissen und für ein Jahr in ein anderes Land zu ziehen?

Es gibt Tage in denen ich das Gefühl habe, ich würde alles für ihn machen, ich könnte wie eine Löwin kämpfen. An anderen Tagen überkommt mich die Macht- und Hoffnungslosigkeit. Dann lebe ich wie in einem Kokon. Ich rede mir ein, es gehe ihm ja gut, er könne ja laufen und spielen und er ist fast wie jeder andere Siebenjährige. Nein, eben nicht! Genau das ist er nicht und sofort meldet sich meine Kämpfernatur zurück!

Eltern von einem behinderten Kind zu sein heisst einen ständigen Kampf zu führen – trotz aller Hilfe die zur Verfügung steht. Einige kämpfen für finanzielle Unterstützung, andere kämpfen für Entlastung der aktuellen Situation. Bis jetzt brauchten wir wenig, unsere Situation ist noch günstig. Aber alle kämpfen mit ihren Gefühlen und wir versuchen stark zu sein. Stark für unser Kind, stark für uns. Wir führen einen ständigen innerlichen Kampf mit Duchenne, der nie zu Ende geht. Wir kämpfen gegen die Machtlosigkeit. Zu sehen wie das Kind Muskelkraft verliert und einfache Dinge wie Socken anziehen nicht mehr möglich sind, ist wie eine Niederlage, bei der man gar nie eine Chance zum Sieg hatte.

Mattias hat Duchenne in seinem Körper. Bei uns Eltern sitzt die Krankheit in unseren Herzen. Es ist eine Trauer, die in uns wohnt. Als wir die Diagnose erhielten hat jemand ein Loch in mein Herzen gestochen. Und seither blutet es die ganze Zeit. Mal weniger, mal mehr. Im Februar floss „Blut“ wie schon lange nicht mehr.

Januar

Sind es Frühlingsgefühle – oder hat das neue Jahr ganz einfach sehr gut angefangen?? Ich fühle mich stark und bin voller Energie, Ideen und Freude, bewege mich viel (joggen) und alles läuft gut. Vielleicht habe ich ganz einfach die kleine Krise vom letzten Herbst überwunden? Werde dafür sorgen, dass es weiterhin so läuft, denn es ist für die ganze Familie ein Gewinn wenn es mir gut geht!

Die Kinder sind nach den Weihnachtsferien sehr gerne wieder in die Schule gegangen. Jetzt haben sie bis zu den Fasnachtsferien mit der Schule einmal in der Woche Schwimmunterricht, was ihnen sehr gut gefällt.

Eines Abends sagte Mattias: „Ich fühle mich stärker seit ich die grüne Tabletten nehme!“ Das bestätigt was ich Ende letztes Jahres gemerkt habe. Er hat mehr Ausdauer und ist stärker! Er hat das einfach so gesagt und er weiss eigentlich nicht weshalb er das Grüntee-Extrakt einnimmt, nur das andere muskelkranke Jungs das auch nehmen.

Schulleiter, Schulpsychologin, Lehrerin, Assistentin, Heilpädagogin und ich haben zusammen über Mattias' zukünftige Bedürfnisse im nächsten Schuljahr gesprochen. Wahrscheinlich wird die Krankheit fortschreiten aber wir wissen nicht wie schnell. Er wird evtl. mehr Unterstützung brauchen. Alle waren sehr entgegenkommend und wenn es so weiterläuft wie bis jetzt sind wir mehr als zufrieden.

Ein Elterngespräch mit Hanna hat stattgefunden. Hanna ist ja ein Jahr früher eingeschult worden und sie ist die Jüngste in ihrer Klasse. Lesen, Schreiben und Rechnen findet sie einfach und sie musste keine Förderziele festlegen, da alles sehr gut läuft.

Hanna ja.. Dieses Mal werde ich über über unsere Tochter schreiben. Hätten wir früher gewusst, dass Mattias Duchenne hat, hätten wir wahrscheinlich kein weiteres Kind gewagt, auch wenn ich nicht Überträgerin der Krankheit bin.
Hanna ist ein Sonnenstrahl! Mattias geliebte kleine Schwester, 15 Monate und 10 Tage jünger als er. Sie sind wie Zwillinge, glaube ich. Seit Hanna zu kriechen angefangen hat spielen sie non stop... Morgens wenn beide wach sind fragt entweder sie oder er: „Spielen wir weiter?“ Denn sie spielen immer so weiter, wie sie am Vorabend aufgehört haben. Sie spielen bevor sie sich anziehen, auch wenn es nur 10 Minuten sind, sie spielen nach dem Frühstück bevor sie die Zähne putzen und in die Schule gehen.
Sie haben natürlich auch Phasen wo sie viel streiten, aber dazwischen und auch in einer Streitphase, halten sie zusammen.

Hanna ist nun fast so gross wie Mattias, es fehlen nur ein paar Zentimeter. Sie ist ihm seit lange überlegen, was Kraft und Schnelligkeit betrifft und sie hat es auch ausgenützt resp. tut es immer noch. Sehr früh hat Hanna angefangen sich für Buchstaben und Zahlen zu interessieren. In der Spielgruppe hat sie angefangen, als sie gut 2 Jahre alt war.

Hanna ist ein typisches Mädchen. Sie liebt rosa, aber langsam ist die Liebe am Abklingen... Früher hat sie am Liebsten Mama-Papa-Kind gespielt. Nach einer intensiven Zeit mit Lego, Playmobil und Pollypocket spielt sie nun lieber mit Barbies oder Puppen. Sie hat immer gerne Bücher angeschaut und gemalt. Häufig zeichnet sie und schreibt kleine Liebesbriefe an uns Eltern.

Hanna ist auch ein Mama-Mädchen. Während langer Zeit wollte sie nicht, dass Papa ihr das Essen eingibt oder ihr die Zähne putzt. Das haben wir natürlich nicht akzeptiert. Der Schlaf hat sie immer noch nicht wirklich entdeckt... Während ihren ersten 3 1/2 Jahren schlief sie kaum eine ganze Nacht durch. Dann wurde es besser. Seit letzten Herbst schlüpft sie fast jede Nacht wieder unter Mamas Decke. Sie erwacht immer zwischen 06 und 06.30 Uhr, egal ob sie um 20 oder 22 Uhr einschläft. Morgenstund hat Gold im Mund scheint ihres Motto zu sein!

Hanna ist mir ziemlich ähnlich. Impulsiv, offen, schnell aber nicht sehr genau wenn sie etwas macht, und sie explodiert schnell. Wir streiten kurz und heftig, Hanna und ich. Sie ist Weltmeisterin in sich entschuldigen, wenn sie etwas falsches gemacht hat oder jemand verletzt hat.
Sie ist mutig und verfügt über ein gute Portion Selbstvertrauen. Gleichzeitig hat sie aber Angst vor Dunkelheit und bekommt schnell Angst wenn in einem Buch oder Film eine Szene ihr unangenehm ist.
Hanna hat ein perlendes Lachen, das ansteckend ist. Man wird froh sie zu sehen und zu hören!
Hanna hat während den Mahlzeiten immer so viel zu erzählen, dass sie das Essen vergisst...

Hanna liebt Mattias sehr! Sie verteidigt ihn, wenn jemand etwas über seine Krankheit oder den Rollstuhl sagt. Sie trägt seine Turntasche in die Schule, da ihm diese zu schwer ist. Hanna umarmt Mattias gerne und küsst ihn. Er allerdings findet es ein bisschen... naja, Mädchenbazillen halt!

Vor einiger Zeit hat sie zuerst mir und dann Dani Folgendes gesagt: „Ich muss mit dir über etwas reden. Ihr seid immer so viel mit Mattias zusammen gewesen“. Wir haben wirklich versucht, keinen Unterschied zu machen. Ein bisschen mehr Zeit mit Mattias haben wir schon verbracht. Seine Arztkontrollen, die Physiotherapie, das Reiten, das Schwimmen. Hanna ist früher oft während diesen Terminen bei ihrer Grossmutter gewesen. Als sie älter wurde habe ich sie mitgenommen und sie durfte oft in der Physiotherapie dabei sein, sie durfte auch auf dem Pferd sitzen. Sie hat länger als Mattias Schwimmunterricht gehabt und jetzt geht sie ins Turnen. Und ich habe versucht mit ihr Zeit zu verbringen, nur sie und ich. Aber trotzdem spürt sie einen Unterschied. Ich bin so froh, dass sie sich wehrt!

Vielleicht habe ich Hanna häufig die Schuld an Streitigkeiten zwischen ihr und Mattias gegeben. Vielleicht machen wir einen Unterschied in der Erziehung eines „normalen“ Kindes und eines mit Behinderung, obwohl wir es nicht wollen.

Hanna ist ein starkes Mädchen, das viele positive Eigenschaften entwickeln wird, weil sie einen Bruder mit einer Muskelkrankheit hat. Sie wird es gut machen, sie wird ihr Weg finden, davon sind wir überzeugt. Hanna bereichert unsere Leben mit ihrer Liebe und Fröhlichkeit! Wir sind so glücklich, dass sie unsere Tochter ist!


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