2010

Dezember

Letztes Jahr hatten wir niemals gedacht, dass es Mattias besser gehen könnte als damals! Dieses Jahr, vor allem seit dem Umzug in unsere neue Wohnung, ist er richtig aufgeblüht! Er sprüht vor Energie und Ausdauer. Auch Mattias‘ Ärztin hat seinen Zustand bei der letzten Kontrolle positiv kommentiert.
Im Grossen und Ganzen sind wir sehr glücklich und zufrieden. Wir sind sehr dankbar für Mattias gute Verfassung. Und für das schöne Leben, das wir führen können. Und für alle kleinen und grossen Worte und Taten, die uns erreichen und Freunde, die das Leben schöner machen!

Eigentlich hat doch Mattias nichts. Jetzt ist er wie ein anderes Kind im Kindergarten mit gewissen Einschränkungen. Die Krankheit wird fortschreiten und seinen Körper abbauen und lähmen und in 10 Jahren werde ich nicht mehr so denken. Mattias ist aber geistig nicht beeinträchtigt und wir haben mit ihm einen ganz normalen Austausch. Was ist mit all den schwerbehinderten Kindern, die 24 Stunden pro Tag Betreuung benötigen, weil sie gar nichts können und sich auch nicht mitteilen? Wenn ich an diese Kinder denke, bin ich sehr dankbar, dass Mattias und wir ein ziemlich unbeschwertes Leben haben. Jetzt noch. Natürlich wünsche ich mir für Mattias ein Leben ohne Duchenne!!!

Seit dem ersten Schnee Ende November läuft Mattias zu Fuss in den Kindergarten. Und zurück! Nur wenn er Turnen hat, bin ich dabei um die Tasche zu tragen. Er hat dadurch enorm viel Selbstvertrauen gewonnen. Dass er den Schnee liebt und stundenlang draussen spielen kann, haben wir gewusst. Aber im Schnee laufen, mit dicken Schuhen und Skihose ist doch mühsam, oder? Findet Mattias nicht! Manchmal verstehe ich seine Krankheit nicht. Welche körperlichen Leistungen sind mit dem Willen möglich, welche aus Kraft?

In einem Einkaufscenter sehe ich einen kleinen, vielleicht knapp 2-jährigen Buben, der sich vom Boden aufrichtet. Genau auf die gleiche Weise wie Mattias – wobei er es nicht mehr so ausgeprägt macht (Po in die Luft, Hände und Füsse auf dem Boden, dann mit den Händen sich auf den Oberschenkeln abstützend aufrichten - Gowers Zeichen). Ich spürte Messerstiche in der Brust: weiss es die Mutter bereits?? Es muss ja überhaupt nicht sein, aber das Bild lässt mich nicht los. Wer den körperlichen Abbau eines Duchennejungen sehen möchte, schaut sich diesen Film an. Achtung! Tut weh… Der Film wurde 2004 gedreht, noch bevor die Jungs mit Cortison behandelt werden konnten. Das Cortison bewirkt eine längere gehfähige Phase, sowie evtl. eine Verminderung der Skoliose.

Weihnachten dieses Jahr war weiss, schön, entspannt, besinnlich… Wie schon früher haben wir ein schwedisches Weihnachtsbuffet gemacht. Mattias mag den schwedischen, in Senfsauce eingelegten, Hering sehr. Etwas gewöhnungsbedürftig… Selber habe ich diesen Fisch erst mit 30 Jahren angefangen zu mögen. Die Kinder waren mit ihren Geschenken sehr zufrieden und spielten ausgiebig damit.
Dani hat eine Woche frei machen können und das war für uns alle sehr schön, nachdem er die letzten Wochen vor Weihnachten sehr viel gearbeitet hat.
An einem Abend spät als es den ganzen Tag geschneit hatte, sind Mattias und ich mit dem Schlitten losgelaufen. Wir sind im Dunkeln auf kleinen Wegen geschlittelt – ein tolles Erlebnis! Der Schnee macht die Welt weich und leise. Das braucht es manchmal.

Was erwartet uns im 2011? Wird sich Mattias‘ Zustand verschlechtern? Wie viel Hilfe wird er benötigen? Wie wird er damit umgehen? Wie wird es für ihn in der Schule werden? Wie werden die Kinder mit ihm umgehen? Wird Hanna ein zweites Jahr in den Kindergarten gehen oder fängt sie gleichzeitig mit Mattias in der Schule an? Wäre das gut oder schlecht für die Entwicklung der Beiden? Sie sind ja keine Zwillinge sondern Geschwister mit 15 Monaten Abstand.
Die Fragen schwirren im Kopf herum. Ich werde sie jetzt auf eine kleine Wolke setzen und wegpusten und mich nicht von ihnen ablenken lassen. Heute ist heute und was morgen ist, das sehen wir dann.

Zum Schluss ein Spruch, der eigentlich ein Lebensmotto sein sollte:
„Be happy with what you have, grateful for what you are given and never want more than you need.“

November

Wer liest eigentlich Mattias‘ Website? Gibt es Leserinnen und Leser die sie monatlich besuchen? Wer findet die Site und über welchen Weg? Das wäre alles interessant zu erfahren. Ich habe sie vor einem Jahr erstellt um andere betroffene Familien, Verwandte und Freunde eine Möglichkeit zu bieten, Mattias und uns auf dem Weg mit Duchenne zu begleiten. Unsere Freuden und Sorgen zu teilen, Gedanken und Gefühle besser zu verstehen. Wenn wir nur ein bisschen dazu beitragen können, das Verständnis für die Muskelkrankheit zu verbessern, sind wir froh.
Eine junge Familie mit einem sehr kleinen Buben, bei dem gerade DMD diagnostiziert wurde, hat uns im Herbst kontaktiert und wir haben sie zu uns eingeladen. Das war ein sehr schönes Treffen und wir konnten ihnen helfen, indem sie Mattias erleben konnten. Für sie war es hilfreich zu sehen, was er mit seinen 6 Jahren noch alles kann. Ihr Sohn wird sich entwickeln und Fortschritte machen. Sie werden viele unbekümmerte Tage mit ihrem Sohn erleben, während denen die Krankheit vergessen geht und Hilfsmittel noch gar nicht nötig sind. Das glaubt man gar nicht, wenn man den Bescheid Duchenne Muskeldystrophie bekommt. Man sieht alles nur noch SCHWARZ.
Als wir das erste Mal eine Selbsthilfegruppe besuchten, hat uns eine Familie gesagt, dass wir Freunde verlieren werden und neue Freunde gewinnen werden. Richtig verloren haben wir noch niemanden. Aber wir haben erlebt, dass es Menschen in unserem Umfeld gibt, die Mühe mit der Krankheit haben. Das akzeptieren wir. Wichtig für uns ist, dass wir viele neue Freunde gewonnen haben!

Unter Links habe ich zwei neue Sites hinzugefügt. Ab und zu surfe ich nach Duchenne und stosse dabei auf mehr oder weniger Interessantes. Schaut doch mal unter hem-stiftung. Unsere Freunde Raphi und Luli, die wir vor einem Jahr kennengelernt haben, basteln gerade an ihrer Homepage. Bald dürfen sie im Mathilde Escher Heim in den Neubau zügeln und endlich ihre Einzelzimmer beziehen!

Ich habe mit Dr. rer. nat. Scheuerbrandt (Insider kennen ihn!) E-Mail-Kontakt gehabt. Er schreibt „Mit aller Vorsicht möchte ich sagen, dass eine Exon-Skipping-Therapie für Mattias nicht zu spät kommen wird“. Das wäre eine Therapie, die Duchenne in eine Becker Muskeldystrophie umwandelt. Sind das nicht wunderbare Nachrichten? Warum mache ich keine Luftsprünge? Ich bin vorsichtig. Und ich habe trotz der Aussage von Herrn Scheuerbrandt Angst, enttäuscht zu werden, die ganze Hoffnung in eine Therapie zu setzen, die am Schluss vielleicht doch nicht kommt oder für Mattias zu spät sein wird. Dann lebe und liebe ich lieber heute, hier und jetzt. Wenn morgen eine Therapie zur Verfügung steht, sind wir dankbar und froh für alle Betroffenen.

„Mama, wer trägt mir den Rucksack, wenn ich in die Schule gehe?“ Mattias hat noch nie eine Schultasche getragen. Er kann nicht wissen, wie schwer sie ist. Und doch spürt er sehr genau, dass er sie nicht wird tragen können.
Wie sieht es für Mattias im nächsten Jahr aus? Dann beginnt sein erstes Schuljahr. Unser Wunsch und Ziel ist es, dass er die öffentliche Schule besuchen kann so lange es nur geht. Aber eben, wer trägt ihm den Rucksack? Ich werde ihn ja weiterhin begleiten können, ihm bis zur Klassenzimmertür helfen können und wieder abholen. Aber dazwischen? Wer hilft ihm die schweren Bücher zu heben, wer begleitet ihn aufs WC? Die meisten Duchenne-Jungs können den Po nicht selber abwischen. Die Drehung des Oberkörpers gelingt ihnen nicht. Macht das dann eine Lehrerin? Wir werden mit der Schulpsychologin und Anderen hoffentlich bald ein Gespräch führen um seinen Bedarf abzuklären. Es ist schwierig zu sagen, ob er in einem Jahr an Muskelkraft verloren haben wird – ziemlich sicher ja, aber wie viel – oder bleibt seinen Zustand weiterhin so stabil?

Wir lesen eine Gutenacht-Geschichte über eine Katze, deren Schwanz von einer Ratte abgebissen wurde. Obwohl die Katze herzensgut ist, wird sie von den anderen Katzen im Quartier ausgelacht. Das finden Mattias und Hanna nicht lieb. Später im Bett sagt Mattias: „Was ist, wenn ich ausgelacht werde?“ „Warum sollte dich denn jemand auslachen“, frage ich ihn. „Wegen meinen schwachen Beinen, weil ich nicht so schnell rennen kann“, antwortet er. Ich sage Mattias, dass ich der Person oder dem Kind erklären würde, warum er nicht springe und weshalb er einen Rollstuhl benutze. Am liebsten würde ich aber den Menschen, der so etwas wagt, in den Rollstuhl setzen, anschnallen und einen ganzen Tag herum schieben – oder er soll es selber machen. Darf ich solche Gedanken haben? Ich weiss, dass ich Mattias nicht vor allem beschützen kann, aber eine Mama kämpft für ihr Kind!

Heute ist Mattias sehr glücklich gewesen! Der erste Schnee ist gefallen. Nur eine dünne Decke, aber für einen Schneeliebhaber wie Mattias sind es paradiesische Zustände! Zuerst wollte er zu Fuss in den Kindergarten laufen. Als ich ihn wie gewohnt mit dem Rollstuhl abgeholt habe, wollte er wieder zu Fuss laufen. Hanna setzte sich dafür dankbar in den Rolli und liess sich nach Hause schieben! Am Nachmittag hat er dann auf unserer Terrasse Schnee geschaufelt und einen Schneemann gebaut.

Der tolle Onkel B. besucht Mattias weiterhin regelmässig. Wie lange schon? Mehr als 2 Jahre, glaube ich. Die beiden geniessen ihre Ausflüge in der Region. Letztes Mal sind sie in den Wald gegangen, über Bäche und Steine und haben am Schluss ein kleines Haus mit Gartenanlage gebaut. Mattias hat es uns ein paar Tage später stolz gezeigt. Trotz einigen Abzweigungen fand er den Weg durch den Wald problemlos. So haben wir etwas weiter gebaut an der Anlage. Onkel B. nimmt sich für Mattias Zeit, einen ganzen Mittwochnachmittag – was für ein Geschenk. Nur Mattias und B. Wer mehr Freude hat, ist nicht so klar, aber sie ist bei beiden riesig.

Die Kinder besuchen die musikalische Früherziehung. Im Frühling sind sie schnuppern gewesen und es hat ihnen sehr gut gefallen. Sie haben Freude am Musizieren und Hanna singt auch gerne. Nach den Weihnachtsferien fängt Hanna mit Kinderturnen an. Sie hat lange vom Ballett geträumt und sie hat auch eine Probelektion besucht. Allerdings müssten wir dafür in die schönste Stadt der Welt fahren, da wir jetzt auf dem Land wohnen und für das erste Kindergartenjahr entschied ich, dass es zu viel werden würde. Jetzt ist aber die Zeit gekommen, wo sie doch etwas mehr an Aktivität braucht. Und die Turnhalle ist gleich hinter unserem Haus.
Mattias besucht ja die Hippotherapie und die Physiotherapie. Hin – und Herfahren, Nachmittage verschwinden im Nu und anderes, wie mit Freunden zusammen sein oder zu Hause einfach spielen, bleibt etwas auf der Strecke. Manchmal möchte ich so viel, die Kinder haben Wünsche und es ist frustrierend aus Zeitmangel nicht alles durchführen zu können. Was als Nächstes zuoberst auf der Prioritätenliste steht, ist das Schwimmen lernen. Mattias wird es wahrscheinlich nie lernen. Er hat im Wasser keinen Auftrieb und hängt senkrecht im Schwimmring. Doch Hanna müsste es unbedingt vor Schulbeginn lernen.

Als es vor ein paar Jahren mit den Kindern sehr anstrengend gewesen ist, habe ich davon geträumt, wie schön es wäre, wenn beide im Kindergarten sein würden. Jetzt sind wir dort angekommen und ich habe jeden Vormittag „frei“! Ich tue mir Gutes und kann dabei auftanken. Ich gehe ins Pilates und habe mit Zumba angefangen. Regelmässig gehe ich mit zwei Nachbarsfrauen spazieren und 1 bis 2 Mal pro Woche gehe ich joggen. Nach diesen Aktivitäten habe ich Energie, vor allem nach dem Joggen, und könnte Berge versetzen…
Mir fehlt die Stadt nicht, auch nicht das Haus und der Garten. Wie ich im Frühling aber Angst hatte, das Alles zu verlassen! Ich bin froh und dankbar, es erlebt zu haben, insbesondere den Garten. Es waren ein paar wunderschöne Jahre für uns mit Rasen, Sandkasten, Spielhäuschen, Beeren und Blumen, Gemüse und Salat.
Ich lerne durch die Kinder immer wieder neue Menschen kennen. Das Kontaktnetz wächst und ich fühle mich immer wohler und wohler hier. Und zu erleben wie Mattias regelrecht aufgeblüht ist, seit wir auf einem Stockwerk wohnen, ist eine Wohltat und war jede Mühe mit dem Umzug Wert!

Vieles mehr ist noch passiert! Mattias hat endlich seine Geburstagsparty gehabt. Dann hat er seinen ersten Milchzahn verloren, den Zweiten kurz darauf. Im Kindergarten lernte er ganz viel Tolles über die Krähe. Er probierte im nahe gelegenen Paraplegikerzentrum (SPZ) das heilpädagogische Reiten aus. Dazu gehörte auch das Ross zu bürsten und die Hufe sauber zu kratzen. Das hat ihm gut gefallen! Er hat zudem einen Rollstuhl mit Elektroantrieb an den Rädern zum Ausprobieren bekommen (e-motion). Das würde ihn beim selbständigen Fahren untertützen. Die Koordination mit den Antrieben will allerdings gelernt sein, sonst gibt es unzählige Dreher. So erging es auch Mattias – und wir haben selten so gelacht. Wir haben darüber hinaus Kerzen gezogen, was Mattias langweilig fand. Es brauchte halt seine Zeit, bis sichtbar Wachs am Docht hängen blieb. Und auf einmal war im dann die Kerze zu schwer zum Halten.  Dann war da noch der Samichlauseinzug im Dorf. Und, und…

Oktober

Schon wieder ein Monat um! Auf der Homepage gibt es nun ein Gästebuch. Mattias freut sich über Einträge, er will wissen, was geschrieben wird. Auch Hanna hätte gerne eine Homepage mit Gästebuch gehabt, sie war sehr traurig, als wir alle zusammen Mattias‘ Homepage angeschaut haben. „Warum hat er das und ich nicht? Er ist muskelkrank und du nicht.“ So einfach ist es natürlich nicht. Sie merkt, dass Mattias einiges nicht kann, nicht macht oder anderes dafür darf wie reiten und in die Physiotherapie gehen. Zum Glück darf Hanna jeweils zwei, drei Runden auf dem Pferd reiten, wenn sie dabei ist– vielen Dank an R. und U.! Mattias‘ liebe Physiotherapeutin lässt Hanna auch jederzeit mitmachen und sagt sogar, es sei für ihn motivierend, wenn Hanna dabei ist. Er bewege sich viel mehr dank ihr.
Ich habe auch einen Link zu einem Leitfaden für DMD-Eltern hinzugefügt. Wünschte mir, es hätte ihn schon gegeben, als wir die Diagnose erfuhren.

Die erste Schulferienwoche haben wir in Disentis verbracht. Wir hatten dort eine rollstuhlgängige Ferienwohnung in der Reka-Feriensiedlung gebucht. Rollstuhlgängig, da wir sicher gehen wollten, einen Lift und 3-Rad-gängige Wege benutzen zu können. Den Rolli haben wir zwar zu Hause gelassen, dafür sind zwei von Mattias‘ 3-Räder mitgekommen: der Kinderwagen und das Velo. Wunderschönes Wetter an fast allen Tagen lockte zu Wanderungen mit Grillieren. Die Region Disentis verfügt über viele kinderwagenfreundliche Wanderwege mit Feuerstellen und Spielplätzen. Was aber, wenn ein Kind nicht wandern kann und eins nicht wandern will?? Lassen wir es lieber… Nur so viel: wir Eltern sind während mindestens einer Wanderung an unsere körperlichen und mentalen Grenzen gestossen! Und – wo kinderwagenfreundlicher Weg steht, ist es auch so. Und sonst nicht. Das wissen wir jetzt auch.

Während der zweiten Woche zu Hause im Nebel sind wir an der Lozärner Määs gewesen. Die Kinder haben ausgiebig mit ihren Spielsachen zu Hause gespielt, wir haben ein paar Besuche bei Freunden gemacht und dann ging es wieder los mit Kindergarten. Die Kinder freuten sich sehr, wieder gehen zu können.

Wir haben mit Mattias‘ Kindergärtnerin ein Gespräch gehabt. Sie hat uns eine Rückmeldung geben wollen, wie es aus ihrer Sicht läuft. Positiv! Mattias sei sehr gut integriert, er habe seinen Platz in der Gruppe gefunden, sagte sie. Er ist und bleibt der Beobachter, sucht vorsichtig den Kontakt und redet nicht allzu viel (hier spielen wohl auch genetische Anlagen eine grosse Rolle!). Schwierigkeiten habe er im Turnen. Hüpfen, balancieren, springen, usw. geht halt nicht oder nicht gut. Auch meidet er Körperkontakt zu den anderen Kindern, damit er nicht umgestossen wird. Aber: Turnen ist nach wie vor sein Lieblingsfach!
Im Vergleich zu seinem ersten Kindergartenjahr hat er riesige Fortschritte gemacht! Wir freuen uns sehr mit und für ihn!

Mattias bekommt das Cortison nach wie vor durchgehend. Im September hat er das Medikament abgesetzt, ich wollte ihn wieder in den 10 Tage Medi / 11 Tage Pause-Rhythmus bringen. Das ging aber nicht. Sofort hat er Heuschnupfen bekommen. Er reagiert wirklich auf alles, das in der Natur blüht. Auch haben wir wieder die Schwankungen in seiner körperlichen Leistungsfähigkeit sowie das Auf und Ab der Gefühle festgestellt. Jetzt nimmt er das Cortison wieder in einer kleineren Dosis, dafür durchgehend. Und es geht ihm sehr gut dabei! Auch seine Kindergärtnerin, seine Heilpädagogin und seine Physiotherapeutin haben den positiven Unterschied kommentiert. Nur weiss es Mattias‘ Ärztin noch nicht… der nächste Termin für eine Kontrolle ist im Dezember.

Ich mache mir Gedanken, was das Cortison langfristig mit seinem Körper und seiner Entwicklung anstellt. Spielt es eine Rolle, ob Mattias das Cortison durchgehend in einer niedrigen Dosis einnimmt oder eine höhere Dosis mit Einnahmepausen? Ich bin keine Fachperson, ich kann nur bestätigen wie es ihm heute, hier und jetzt sehr gut geht. Und zählt das nicht mehr? Wer weiss schon was morgen kommt? Wir wollen immer alles absichern und unter Kontrolle haben. Schön wär’s. In die Zukunft schauen. Noch schöner?! Wissen, was in 5 Jahren ist. Stop! Ist es nicht wichtiger, den heutigen Tag bewusst zu erleben?

Ich werde die kommende Nacht intensiv erleben… Mattias konnte nicht einschlafen. Jetzt schläft er im Bett neben mir! Seine zarte Hand zu nehmen und seinen Atemzüge zu lauschen, in sein friedvolles Gesicht zu schauen – das ist unbezahlbarer Genuss!

Wir haben neu ein Gästebuch eingerichtet und freuen uns über Einträge!

September

„Das Herz ist für dich Papa, weil ich dich sooo fest liebe!“ Eine Zeichnung als Liebeserklärung.
Die Jungs haben einen „Männerausflug“ zum Rheinhafen in Basel gemacht. Schiffe, Container, Krane und ein Museum mit vielen Modellschiffen und Knöpfen zum Drücken. Und ein Junge im Rollstuhl, der einem Matrosen auffällt. Denn als wir zu einer Stadt- und Hafenrundfahrt von der Schifflände in Basel starten wollen, erkennt er uns wieder und grüsst herzlich. Nach einer Weile kommt er sogar zu uns und sagt, wir sollen mal mitkommen. Was denn jetzt? Unglaublich, wir dürfen zum Kapitän hoch steigen und den Rest der Fahrt dort verbringen. Mattias ist ganz andächtig und man spürt, wie er es geniesst. Der Rolli für einmal als Türöffner…

Mattias wird 6 Jahre alt! Er darf ein Znüni in den Kindergarten mitbringen und wird dort gefeiert. Am Morgen haben wir ihn zuerst mit „Happy Birthday“ und einem Geschenk geweckt. Er bekam einen tollen Tieflader mit Bulldozer, den er sich seit letzter Weihnacht gewünscht hat. Dieses Mal hat er sich richtig nach seinem Geburtstag gesehnt.

Mama, ich mag es nicht, wenn mich Leute anstarren, sagte Mattias, als wir einmal zum Auto gingen. Er sass in seinem Rollstuhl. Ich merke ja auch, wie er angeschaut wird und finde es nicht immer so toll. Ein kleiner Junge sitzt im Rollstuhl, er sieht nicht krank oder behindert aus. Und plötzlich steigt er aus und läuft oder schiebt den Rollstuhl selber! Was hat denn der, werden sich einige Leute fragen.
Das habe ich Mattias auch erklärt, aber ich weiss nicht, ob er es begreift.
Wir haben nun abgemacht, dass er mir sagt, wenn er angestarrt wird und es ihm dabei nicht wohl ist. Dann gehen wir weg oder ich werde es der Person sagen. Anschauen ist nicht verboten, das tun wir ja alle. Was man mit dem Blick aber auslösen kann, ist nicht allen bewusst.

Mattias hat mit dem Kindergarten eine Herbstwanderung unternommen. Er sass in seinem 3-Rad-Kinderwagen und seine Heilpädagogin hat ihn gestossen. Der Rollstuhl auf Waldwegen, das funktioniert nicht, dazu sind die Vorderräder zu klein. Wieder zu Hause ist Mattias etwas müde und lustlos. Nach dem Abendessen ist er wieder „der Alte“ und dreht sogar noch auf. Das Einschlafen klappt nicht, ich liege neben ihm und wir reden. Der Tag im Wald sei nicht so schön gewesen, meint er. Die anderen Kinder seien herumgerannt und er konnte nicht so viel mitmachen und habe alleine gespielt. Am nächsten Tag rief ich die Kindergärtnerin an um zu fragen, wie der Tag verlaufen sei. Sie sagte mir, sie sei erstaunt gewesen wie er gut mitgemacht habe. Ich glaube, ihm ist an diesem Tag sehr bewusst worden, dass er nicht wie die anderen Kinder kann. Alle sind gelaufen – er sitzt im Kinderwagen. Die Kinder sind im Wald herumgesprungen – er konnte dies nicht so lange wie er es wollte. Das „sich-bewusst-werden“ über die Andersartigkeit wird jetzt mehr und mehr kommen. Mattias wird vielleicht frustriert und traurig werden, er wird Wut und Ärger spüren. Wie werden wir ihn unterstützen und trösten können, wenn es uns das Herz schon jetzt zerreisst??

Wenn ich Mattias morgens in den Kindergarten bringe, muss ich warten bis der Kindergarten geöffnet wird und ich den Rollstuhl in einen Vorraum abstellen kann. Die Kinder spielen jeweils vor dem Kindergarten. An diesem Tag rennen 5 – 6 Buben auf der leicht abfallenden Wiese herum. Das Gras ist nass. Ich merke an Mattias‘ Haltung und Bewegungen, dass er liebend gerne auch mitgemacht hätte.
Der Schmerz, den ich plötzlich spüre, ist heftig und ich muss weinen. Mein Kind ist anders. Mein Sohn ist behindert. Mattias wird sich nie wie die anderen Kinder bewegen können. Bald wird er sich weniger und weniger bewegen. Dann wird er keine Treppen mehr steigen können. Irgendwann kann er sich nur mit einem elektrischen Rollstuhl fortbewegen und ist für ALLES auf Hilfe angewiesen. Warum Mattias???

Wir geniessen ein paar wunderschöne Herbsttage, wo die Kinder draussen in kurzen Hosen und T-Shirt spielen.
Dann fängt es an zu regnen und die Temperaturen fallen um 10 °C! Bei seinem nächsten Reittermin trägt Mattias bereits eine Mütze und Handschuhe. Er sehnt sich nach Schnee, sagt er. Er möchte wieder Schnee schaufeln und schlitteln! Hoffentlich dauert es aber noch ein paar Monate, bis es soweit ist!

August

Mattias sagte ein paar Mal, dass ihm Hanna fehle als sie in Schweden bei den Grosseltern gewesen ist. Sie ist seit anfangs Monats wieder zurück und das Wiedersehen auf dem Flughafen war rührend! Wieder zu Hause haben sie sich zuerst so richtig tüchtig gestritten! Mattias meinte, „es ist schön Hanna wieder hier zu haben, aber wir streiten nur…“ Das hat sich wieder gelegt und sie haben die restlichen Sommerferien mit intensivem Spielen verbracht.

Jetzt gehen beide in den Kindergarten. Gleiches Gebäude aber in zwei verschiedenen Klassen. Das haben wir gewünscht und es ist gut so. Beide sollen sich unabhängig von einander entwickeln können. Hanna war sehr nervös vor dem ersten Chindi-Tag! Mattias sagte, er sei nicht nervös, er sei ja schliesslich kein Anfänger mehr… Man merkt gut, dass er bereits in Jahr im Kindergarten hinter sich hat. Beiden gefällt es gut, Mattias sogar sehr! Er sprudelt so richtig vor Freude und erzählt viel von seinen Erlebnissen! Die Eltern haben wir am ersten Tag über Mattias‘ Muskelkrankheit kurz informiert und die Kindergärtnerin hat es mit den Kindern auch besprochen. Nun fühlt sich Mattias wohl und aufgehoben. Mattias‘ Heilpädagogin darf ihn erfreulicherweise weiterhin begleiten und kommt 2 Mal pro Woche in den Kindergarten.

Heute weine ich vor Freude und Stolz, als ich auf der Terrasse stehe und sehe wie Mattias und Hanna von den Kindergarten kommen, Hand in Hand. Mattias ist heute Montag, 30. August 2010, zum ersten Mal alleine zu F u s s in den Kindergarten gegangen! Für ihn ein riesiger Schritt in die Selbständigkeit! Letztes Jahr wollte er immer im Kinderwagen sitzen. Ich glaube nicht, dass er jetzt häufiger laufen wird, er hat nämlich Angst vor den grösseren Kindern. Da ich Zeit habe ihn zu begleiten mache ich es solange er es wünscht.

Ich habe solche Angst, Mattias alleine gehen zu lassen! Jetzt möchte er z. B. ohne mich auf den Spielplatz gehen, wo andere Kinder sind (er geht aber nur, wenn er die Kinder bereits kennt, respektive wenn die Kinder wissen, dass er schwache Beine hat!). Wir müssen ihm ja Erfahrungen machen lassen, wir können ihn nicht vor alles schützen. Er muss lernen sich zu wehren. Er muss lernen, dass nicht alle Kinder auf ihn Rücksicht nehmen. Er muss lernen mit blöden Kommentaren über seine Behinderung umzugehen.
Was ist aber, wenn er umfällt und sich verletzt und niemand hilft ihm? Dann müsste ich doch dabei sein? Dann wird er aber nie zu einer selbständigen Person werden. Es ist für mich sehr schwierig loszulassen und ich habe das Gefühl ihn zu fest zu beschützen.

Am letzten Sonntag haben wir uns mit 4 anderen betroffenen Familien getroffen. Herzlichen Dank an F. und S. für die Einladung! 12 Kinder, davon 7 mit Duchenne spielten einen Nachmittag lang und wir Erwachsenen haben Erfahrungen ausgetauscht. Mir tut den Kontakt gut, Dani fühlt sich leider nach solchen Treffen deprimiert. Wir gehen alle unterschiedlich mit dem Schicksal um. Mattias braucht nicht den Kontakt zu anderen Buben mit schwachen Beine hat er mir gesagt. Er fühlt sich mit ein paar Einschränkungen ganz normal, glaube ich. Machen wir ihn behindert? Machen wir eine zu grosse Sache draus? Ich weiss es nicht. .

Juli

Mattias und ich weinen zusammen. Mattias, weil er mit den Nachtschienen nicht schlafen will. Ich, weil ich auf seine Krankheit eine solche Wut empfinde. Die Tränen gehen über in Trauer. Die Muskelkrankheit ist so brutal! Stell dir vor, du würdest an Muskelkraft verlieren und kannst nichts dagegen machen. Mit der Zeit bist du 24 Stunden 7 Tage pro Woche auf Hilfe angewiesen. Wie wäre das? Ich kann mir ein solches Leben nicht vorstellen. Nun werde ich ungewollt Betreuerin meines Sohnes mit Duchenne Muskeldystrophie. Aber Hallo, das wollte ich doch gar nicht!!! Ich wollte ein gesundes Kind das Sport treibt, mit mir den Luzerner Stadtlauf läuft, mit uns wandern geht, mit Papi an einem alten Auto herum schraubt, heiratet und selbst Vater wird.
Jetzt kann er nicht einmal mit den Nachbarkindern Fussball spielen. Er traut sich nicht zusammen mit anderen Kindern zu rennen, da er Angst hat umzufallen. Er würde den Ball schon treffen, mit seiner Muskelschwäche würde der Fussball sicher 30 cm rollen…
Als die Kinder ihn fragen, ob er auf den Fussballplatz mitkommt, sagt er, er könne nicht so schnell rennen, weil er schwache Beine hat.
Noch mehr Wut muss raus! Mattias hat durch den Rollstuhl eine Parkerlaubnis für Behindertenparkplätze bekommen. Wir versuchen immer auf einem normalen Parkfeld zu parkieren, es sei denn, unser Ziel ist weit weg und ein Behindertenparkplatz befindet sich näher. Haben wir den Rollstuhl nicht dabei, ist es für Mattias nämlich möglich, eine kurze Strecke zu laufen und wir müssen ihn nicht tragen.
Nun sagt mir doch ein alter Mann als wir aus dem Auto steigen, das wir uns auf einem Behindertenparkplatz befinden, der Parkplatz sei nur für Behinderte! Er sieht nicht, was Mattias hat, denn Mattias sieht ja wie ein normales Kind aus. Aber dann soll er doch seinen Kommentar für sich behalten! In mir brodelt es plötzlich gewaltig, aber ich behalte meine Gedanken für mich.

Mattias beendet Anfang Juli sein erstes Kindergartenjahr. Er ist so gross geworden, mein kleiner Junge! Am gleichen Tag holen wir meinen Bruder mit seiner Familie vom Flughafen ab. Wir haben eine sehr schöne Woche zusammen. Viel baden, die Sonne geniessen, plaudern, gut essen… Hanna fliegt anschliessend mit ihnen nach Schweden zurück, wo sie bei den Grosseltern bis Anfang August bleiben wird. Ich habe feuchte Augen, als ich mich von ihr verabschiede. Mit nur 4 ½ Jahren geht sie ohne uns weit, weit weg!

Mattias und ich, naja, vor allem ich – bereiten uns für ein paar Tage im Zelt vor. Wir möchten an den Genfersee und ins Tessin fahren, wo wir Freunde besuchen werden. Es kommt einiges an Gepäck zusammen! Zum Glück können wir im VW-Bus alles gut verstauen und es kann los gehen! Die Sonne begrüsst uns nach einem Regentag und wir geniessen unsere Fahrt Richtung Westen. Mattias hört im Auto gerne Musik. Er mag ruhige Musik - Klassisches, aber auch Hardrock, à la AC/DC und die dann richtig laut.
Wir richten uns auf dem Zeltplatz in Le Bouveret ein und gehen baden. Herrlicher Sandstrand, warmes Wasser! Wir kochen unser Z’Nacht auf dem Spritkocher und essen auf der Decke auf dem Boden. Das gefällt Mattias sehr! Wir schlafen ziemlich gut, Mattias rollt ein paar Mal von der Luftmatratze runter und ich muss ihn wieder hoch heben!
Wir gehen in den Swiss Vapeur Parc. Es ist wirklich sehr schön gemacht, Preis / Leistung stimmt und ich sehe sogar, wie für einen Rollstuhlfahrer ein extra Wagon montiert wird, damit er auch mitfahren kann. Das freut mich!
Nach 5 Tagen geht es im Regen weiter durch das Wallis und über den Simplonpass ins Tessin. Wir fahren durch das Centovalli. Wunderschön ist die Landschaft, aber ich bin noch nie so viele Kurven und enge Strassen gefahren! In Losone erwartet uns wieder warmes Wetter. Wir baden in der Maggia, und Mattias klettert wie ein Wilder auf den Steinen herum. Leider hatte ich die Kamera nicht dabei!
Am letzten Tag gibt Daniel, der Sohn eines Freundes, zusammen mit zwei anderen ein kleines Konzert auf dem Campingplatz. Die Stimmung ist toll, die Leute fröhlich, die Sonne scheint!
Daniel ist aber nicht wie du und ich. Liest mehr über ihn hier.
Ohne Stau vor dem Gotthardtunnel kommen wir am Sonntagabend sehr spät zurück. Mattias blieb die ganze Strecke (2 ½ Std.) wach, obwohl er schon längst hätte schlafen müssen. Zu Hause umarmt er innig seinen Papi und schläft schnell in seinen Armen ein!
Geplant hatte ich ein paar Tage weg zu bleiben, aber es hat uns so gut gefallen, das wir eine Woche gezeltet haben. Frei und ungebunden, immer draussen, Sonne, baden, liebe Leute – Danke für alles! Es hat sehr gut getan!

Mattias hat ein drittes Kortisonpräparat (Spiricort) getestet. Dieses scheint er gut zu vertragen. Zwar ist die Dosis niedriger, dafür bekommt er es durchgehend. Eigentlich wird empfohlen, das Kortison jeweils 10 Tage zu nehmen und dann 11 Tage Pause zu machen, um die Nebenwirkungen klein zu halten. Da Mattias extrem stark an Pollenallergie leidet und das Kortison besser als alle anderen Medikamente gegen die Allergie hilft, erlebt er dank der durchgehenden Einnahme nun den ersten beschwerdefreien Sommer! Ansonsten wäre eine Woche im Zelt niemals möglich gewesen. Die Pollenallergie macht ihn auch sehr lichtempfindlich. Deswegen gibt es von Mattias fast keine Fotos ohne Sonnenbrille, falls sich jemand fragt, weshalb er immer eine trägt.

Juni

Eingezogen! Die neue Wohnung haben wir mit Leben gefüllt. Die riesige Terrasse ist für die Kinder ein Spielparadies, wo sie im Bassin baden, in einer Wasserbahn Schiffe durch Schleusen bugsieren, für Puppen kochen, feinen Tee servieren oder schaukeln. Mattias hat bereits nach ein paar Tagen gesagt, er möchte nie in das Haus zurück, wo wir gewohnt haben. Er ist froh, keine Stufen oder Treppen mehr steigen zu müssen. Wir Eltern werden sicherlich bald Zeit finden, die schöne Aussicht und abends den Sonnenuntergang zu geniessen. So richtig zu Hause fühlen wir uns hier noch nicht, aber sobald wir hier Leute kennen gelernt haben, wird das Gefühl schon kommen. Oder?

Mattias beendet das Kindergartenjahr in seinem alten Kindergarten. Ich fahre ihn 3 Mal pro Woche. Montags kommt seine Heilpädagogin zu uns nach Hause um mit ihm zu arbeiten. In der ersten Woche nach dem Umzug stand Waldwoche auf dem Programm. Mattias ist jeweils sehr zufrieden, aber furchtbar dreckig nach Hause gekommen! Vor der Maschinenwäsche war erst mal eine Vorreinigung mit Schlauch und Bürste auf der Terrasse nötig.

Mattias ist bereits zum 3. Mal auf eine Kindergeburtstagsfeier seiner Kindergartengschpändli eingeladen! Er ist mächtig stolz und konnte es kaum erwarten auf die Party zu gehen. Wann ist es 14 Uhr, Mama? Kann ich jetzt schon gehen? Die Gschpändli wohnen in der gleichen Strasse wie wir vorher und er wollte unbedingt alleine zu ihnen gehen. Ohne Mama. Selbständig ist er geworden, der kleine Kerl!

Im Mai musste Mattias das Cortisonpräparat wechseln, da die Firma Streuli technische Schwierigkeiten in der Produktion seines bisherigen Produkts hat. Vor Ende 2010 kann angeblich nicht mehr mit einer erneuten Verfügbarkeit gerechnet werden. Das wiegt umso schwerer, als Mattias und wir bislang keine grossen Nebenwirkungen feststellen konnten
Jetzt aber, mit dem Generika der Firma axapharm, ist es anders - negativer. Mattias hat Einschlafschwierigkeiten und morgens ist er so gegen 7 Uhr wach. Die Tage werden dadurch sehr lang und ermüdend. Gleichzeitig kann er sich nicht entspannen und steht ständig unter Strom. Zudem zeigt er einen grösseren Appetit. Da er ausser Glace und Schoggikuchen nichts Süsses mag und verlangt, kann ich seinen Hunger zumindest mit gesunden Nahrungsmitteln stillen. Wie sieht es aber mit einer Gewichtszunahme aus, sollte der Hunger bleiben? Wir möchten auf jeden Fall vermeiden, dass Mattias Übergewicht entwickelt. Wenn er später im Rollstuhl sitzt, wird er die Kilos nie mehr los und einzig schwerer werden. Für seine Gesundheit ist das nicht gut. Und für unsere auch nicht. Eine schwere, gelähmte Person zu pflegen ist nicht einfach.
Mattias hat überdies mehr Stimmungsschwankungen. Ein paar Mal pro Tag erlebt er Hochs und Tiefs, die einer bipolaren Störung mit Turbo ähneln. Die Gereiztheit und Ungeduld haben wir schon gekannt, das kam mit dem Cortison vor bald 3 Jahren. Neu ist eine Traurigkeit, die einer depressiven Verstimmung nahe kommt. Und wie hilft man da seinem Kind?
Sollte er das Präparat wechseln? Eine niedrigere Dosis nehmen? Warum kann eine Firma nicht einfach ein Medikament weiterproduzieren? Technische Schwierigkeiten und das über Monate… Fällt irgendwie schwer zu glauben. Ich würde gerne wissen, was wirklich dahinter steckt.
Ich werde mit Mattias‘ Ärztin Kontakt aufnehmen und dann schauen wir weiter. Die jetzige Situation ist weder für Mattias noch für uns einfach.

Nun hat Mattias seinen Rollstuhl seit einem Monat. Eigentlich wollte ich für Mattias einen Rollstuhl mit Aktivantrieb (kraftunterstützte Räder), damit er längere Strecken und Steigungen selbständig bewältigen würde. Ich liess mich mit dem Argument überreden, mit einem Handrollstuhl würde er besser lernen Rollstuhl zu fahren. Hätte ich doch besser auf mein Bauchgefühl gehört und mich durchgesetzt… Mattias mag den Rollstuhl draussen natürlich nicht bewegen, ein paar Meter vielleicht, dann hat er schlappe Arme. Das hat zur Folge, dass wir ihn immer stossen müssen. Zudem waren die Griffe für die stossende Person so etwas von praxisfremd. Jetzt haben wir, schnell und unkompliziert, einen Bügel wie auf einem Kinderwagen bekommen. So geht das Stossen nun viel besser. In der Wohnung, wo alles flach ist, kann er sich mit dem Rollstuhl gut bewegen, aber drinnen braucht er ihn ja noch gar nicht wirklich.
Mit dem Rollstuhl wollte ich für Mattias mehr Selbständigkeit erreichen. Die hat er so nicht bekommen.

Wenn ich daran denke, dass Mattias in ein paar Jahren seine Gehfähigkeit verlieren wird, die Arme für eine Umarmung nicht mehr hochheben kann... Er wird sich nicht vom Boden aufrichten können, er wird beim An- und Ausziehen Hilfe brauchen. Er wird nicht mehr selber essen können, weil seine Muskelkraft nicht ausreicht, die Gabel zu seinem Mund zu führen... Dann möchte ich einfach ganz laut schreien:
NEEEEEIN!!!

Mai

Der Monat Mai ging sehr schnell vorbei. Regen, nass, kalt und ein Hagelgewitter werden uns in Erinnerung bleiben. Wir sind mit Ausmisten, einpacken und umziehen beschäftigt gewesen. Den Schlüssel zu unserem neuen Heim haben wir bereits bekommen und sind auch öfters dort gewesen. Die Kinder haben schon viele Spielsachen mitgebracht und sich mit Genuss im noch leeren Wohnzimmer ausgebreitet!
Am letzten Sonntag im Mai haben wir zu einem Abschiedsapéro für unsere Nachbarn und Freunde im Quartier eingeladen. Das war sehr schön, wir haben das Zusammensein genossen! Ich habe in den 5 ½ Jahren, die wir hier wohnen, viele schöne Begegnungen erfahren und gerade in der letzten Zeit ist es sogar intensiver geworden.

Mattias geht es gut! Er ist wirklich sehr „zwäg“ und mag körperlich recht viel. Es ist schön, ihn so zu erleben. Irgendwie ist unser Leben normal. Ich kann mir nicht vorstellen, dass es anders sein könnte oder wie es wäre, wenn es anders wäre!
Der Buggy ist jedoch immer dabei, ohne ihn gehen wir nicht aus dem Haus, während andere Kinder laufen. Mattias flitzt auf seinem Dreiradvelo um die Kurven, andere Kinder fahren dagegen Velo. Er geht alle 3 Monate zur Kontrolle ins Krankenhaus und alle 2-3 Wochen in die Physiotherapie, andere Kinder kennen das Spital dafür meist nur von aussen. Jeden Monat schluckt er während fast 20 Tagen 60 Cortisontabletten, andere Kinder kennen dagegen nur Lutschbonbons gegen Halsweh.

Obwohl Mattias nachdenklich sein kann und wir nicht immer wissen oder von ihm erfahren, was er denkt, scheint er glücklich zu sein. Er kennt ja auch nichts anders als das oben Geschilderte. Möchte er schnell rennen, Velo fahren, klettern, hüpfen und Fussball spielen können? Darüber sprechen wir nicht. Ich will ihn nicht fragen, denn seine Situation verändern können wir nicht.
Mattias ist im Kindergarten sehr gut integriert. Die Kinder haben ihn mit seinen schwachen Beinen akzeptiert. Er kann nicht alles mitmachen, aber das macht nichts, die anderen wissen Bescheid.
Er wurde vor Kurzem zu einer Geburtstagsparty eingeladen und hat sich riesig gefreut! Die Mutter berichtete mir nachher, wie gut Mattias mitgemacht hat und wie die anderen Kinder auf ihn Rücksicht nahmen. Das hat mich sehr gefreut. In einer Welt, die nur egoistischer zu werden scheint, sind Eigenschaften wie Verständnis und Rücksichtsnahme rar.
Mattias hat den Buggy gegen einen Rollstuhl eingetauscht. Er hat riesig Freude an seinem blauen „Schlitten“! Er hat ihn erst seit ein paar Tagen und wir werden später von unseren Erfahrungen damit berichten.

April

Chaos!
Wir leben bereits im Zügelchaos. Leere und gepackte Kisten stehen im Wohnzimmer. Was nicht gebraucht wird, packen wir ein.
Im Garten stehen unzählige Töpfe mit Setzlingen, Kräutern, ausgegrabenen Pflanzen, Blumen – zum Mitnehmen für die Terrasse, damit sie schön grün und bunt wird. Aber wir werden unseren schönen Garten schmerzlich vermissen! Aus der Tür und Gras unter den Füssen spüren. Es ist sooo schön!
Die Gartenarbeit ist zudem wie Meditation für mich. Ich vergesse alles um mich herum, wenn ich in die Erde grabe. Meine Sorgen verblassen, meine negative Gemütslage dreht sich ins Positive und unter meinen Händen entsteht Schönes! Was soll ich später machen???
Mein Gefühlschaos ist gross. Der Umzug beschäftigt mich Tag und Nacht. Es gibt keinen Ausweg, wir müssen. Ich will aber nicht! Will nicht unser altes gemütliches Haus verlassen. Will nicht ohne Garten sein. Will nicht alle lieben Nachbarn, Freunde und Bekannten hier verlassen.
Wir ziehen wegen Mattias um. Unsere Zukunft befindet sich nicht im Haus. Ich versuche ja positiv zu denken. Wir müssen uns später mit allerlei Hilfsmitteln arrangieren. Und dafür brauchen wir Platz. Das haben wir hier nicht.
Es wird gut werden. Die Wohnung ist neu und gross, wir haben von der Terrasse eine wunderschöne Aussicht Richtung Alpen. Mattias und Hanna werden schnell andere Kinder kennen lernen und auch Dani und ich werden neue Bekanntschaften machen.
Für Mattias’ Integration in den Kindergarten ist bestens gesorgt und auch Hanna wird den Kindergarten besuchen können.
Die Vorbereitungen und die Organisation des Umzuges, das Einpacken, das Auspacken und die Zeit, bis wir uns eingerichtet haben, das alles empfinde ich im Moment als mühsam. Und… all das Neue macht ein bisschen Angst.
Nicht das sich die Kinder auf den Umzug freuen, aber wir können nun darüber reden, ohne dass es sofort heisst: Nein! Wir haben die Ortschaft ein paar Mal erkundet und es ist alles nicht mehr so fremd. Für Mattias wird es eine Erleichterung sein ohne Treppen zu wohnen.
Mattias ist körperlich noch relativ stark, aber die Unterschiede zu Gleichaltrigen werden immer deutlicher und grösser. Sein watschelnder Gang zum Beispiel, oder wenn er zu rennen versucht. Hüpfen kann er gar nicht. Auf einem Bein stehen auch nicht. Klettern auf dem Spielplatz ist nur mit Hilfe möglich. Letzte Woche ist er richtig stolz gewesen, als er auf dem Spielplatz ganz alleine über eine Leiter aus zusammengeknöpften Seilen laufen konnte! Andere Kinder springen einfach darüber.
Oder das Velofahren. Hanna hat es vor ein paar Tagen gelernt. Es gibt Duchenne-Buben, die für eine kurze Zeit Velofahren können. Mattias ist zu ängstlich, es versuchen zu wollen. Er hat grossen Respekt vor seinen körperlichen Einschränkungen, wagt eher zu wenig als zu viel, um nicht in eine ungünstige Lage zu geraten.
Was geht wohl in ihm vor, wenn er merkt, dass er so viel nicht machen kann? Ist er traurig? Nimmt er es so gelassen hin, wie es oft scheint? Er wirkt manchmal auch nachdenklich. Ich fragte ihn einmal, ob er glücklich sei. Was ist Glück, Mama? Wie definiert man Glück? Wie erklärt man Glück? Ich wäre glücklicher, wenn Mattias diese Krankheit nicht hätte.
„Welcome to Holland“ ist eine passende Geschichte zum Thema Glück.

Mormor aus Schweden hat uns besucht. Aus 2 Wochen wurden 3, da sie wegen der Vulkanasche nicht zurückfliegen konnte. Der Vulkan hat Mattias sehr beschäftigt und wir holten in der Bibliothek ein Buch darüber um ihm den Ausbruch erklären zu können. Im Internet schauten wir uns Nachrichtensendungen an (wir haben keinen Fernseher!).
Am ersten Abend ohne Mormor weinte sich Mattias in den Schlaf. Mormor fehlte ihm so sehr!
Mattias hat wieder mit der Hippotherapie angefangen. Gross war die Freude als er auf sein Pferd Kiarny aufsitzen konnte! Jetzt wird er nicht mehr so häufig in die Physiotherapie gehen, denn beides würde ihn terminlich und körperlich überfordern.
Den Luzerner Stadtlauf liefen dieses Jahr nur Hanna und ich. Mattias wollte nicht und da nützen auch meine Überredungskünste nichts. Ein Nein ist ein Nein und er bleibt dabei! Nach dem Zieleinlauf bekam Hanna eine Medaille für die Teilnahme und sie rief stolz: „Mama, wir haben gewonnen!“ Kinder sind so herrlich unbelastet!

März

Die Sonne tut meinem Gemüt sehr gut! Wie lange habe ich mich nach Sonne und Wärme gesehnt – endlich ist der Frühling hier! Hanna und Mattias spielen nun gerne draussen im Garten. Gerade sitzt Hanna mit einer Freundin auf einer Decke und spielt mit Barbies. Mattias ist von einem Gschpändli nach Hause gekommen und hat sich in den Sandkasten gesetzt. Selber habe ich den Nachmittag im Liegestuhl auf der Terrasse genossen!

Den ganzen Winter haben wir uns mit der zukünftigen Wohnsituation beschäftigt, denn Mattias wird später auf einen elektrischen Rollstuhl angewiesen sein. Nach vielen schlaflosen Nächten haben wir einen Entscheid gefällt. Wir ziehen um. Unser kleines Haus ist nicht rollstuhlgängig. Das zu ändern ist praktisch unmöglich. Auch nach einem Ausbau wäre es eng. Zudem würde der Ausbau extrem teuer werden. Wir haben dann angefangen nach rollstuhlgängigen Wohnungen zu suchen. In der Stadt ist kaum etwas zu finden oder unverschämt teuer im Verhältnis zum Gebotenen. Zugegeben, durch unsere aktuelle Wohnsituation sind wir verwöhnt! Wir haben hier ein Gartenparadies und die Lage ist perfekt. Fast alles das man braucht, ist zu Fuss erreichbar.

Dank Internet und Suchabos haben wir nun eine sehr schöne Wohnung ausserhalb der Stadt gefunden, die unsere zukünftigen Bedürfnisse abdeckt. Der Kindergarten und die Schule befinden sich gleich neben der Siedlung. Wegen der Integration von Mattias im Kindergarten musste ich im Vorfeld Einiges abklären. Integration ist leider nicht überall möglich. Ich habe mit sehr netten und verständnisvollen Personen Kontakt gehabt und nun scheint alles gut aufgegleist zu sein.

Aufbrechen und einen Neuanfang zu wagen ist nicht einfach. Solange die Kinder noch klein sind, fällt es ihnen einfacher, Freunde zu finden. Das ist auch der Grund, weshalb wir jetzt schon umziehen. Nur wegen Mattias müssten wir dies noch nicht tun. Er wird sich wahrscheinlich noch ein paar Jahre selber zu Fuss bewegen können. Wir sind gespannt auf die neue Umgebung und die neuen Leute, die wir kennenlernen werden. Mit den Kindern sind wir bereits ein paar Mal dort gewesen, haben uns das Quartier angeschaut, auf dem Spielplatz gespielt, usw. Nun erscheint alles nicht mehr so fremd.

Mattias und ich besuchten Luli und Raphi im Mathilde Escher Heim in Zürich. Mit dabei waren zwei andere Mütter und ihre DMD-Buben. Ich war sehr gespannt, wie Mattias die Eindrücke verarbeiten würde. Bis jetzt hat er nur Betroffene in ähnlichem Alter getroffen. Wir schauten uns vorher auf YouTube ein paar Videos von Luli und Raphi an. Mattias ist fasziniert von den elektrischen Rollstühlen. Sie können wie Autos blinken!
Mattias ist während des Besuchs zurückgezogen und scheu. Was geht wohl in ihm vor? Wir dürfen die Wohngruppe sehen. Luli und Raphi zeigen uns auch, wo sie arbeiten und was sie dort machen. Sehr spannend! Es ist ein warmer sonniger Tag und am Schluss gehen wir alle zusammen etwas trinken.
Nachdem wir uns ins Auto gesetzt haben und losfahren, ist Mattias’ erste Frage: „Warum sitzen sie im Rollstuhl?“ Ich habe ihm vor dem Besuch erzählt, dass Luli und Raphi auch schwache Muskeln haben. Jetzt erkläre ich ihm unter anderem, dass es das Medikament, das er nimmt, noch nicht gab, als Luli und Raphi Buben waren. Er redet dann nicht mehr darüber. Und er hat bis jetzt keine weiteren Fragen gestellt. Ich weiss nicht, welchen Eindruck er bekommen hat. Auf jeden Fall hat er die schwachen Muskeln von Luli und Raphi nicht in Bezug zu seiner Krankheit gesetzt.
War es zu früh ihm mit dem Verlauf seiner Krankheit zu konfrontieren? Ich habe Angst. Angst, dass er sehr traurig wird, wenn er erfährt, was mit ihm geschehen wird. Angst, dass ich die Situation nicht bewältigen kann. Angst, ihm in seiner Verzweiflung nicht helfen zu können. Angst vor meinen eigenen Gefühlen.

Februar

Das gefühlsmässige Januarloch ist vorbei und ich sehe die Welt wieder mit anderen Augen. Es ist ein wunderbares Gefühl wieder mehr Fröhlichkeit und Liebe zu spüren und zu geben!
Nach viel Schnee anfangs Februar liegt nun Frühling in der Luft! Die Kinder haben die Schlitten gegen die Fahrräder getauscht. Mattias ist sogar ein paar Mal mit seinem 3-Rad in den Kindergarten gefahren. Die anderen Kinder bestaunten ihn und einige wollten sein Gefährt sogar ausprobieren.
Dann war natürlich die Luzerner Fasnacht! Es war wirklich kalt. Wir wollten am schmutzigen Donnerstag den Umzug live sehen, sind aber wegen der Kälte schliesslich nur eine Stunde in der Stadt geblieben. Beim Grosi schauten wir den Umzug dann am Fernsehen. Bei ihr auf dem Sofa mit einer Tasse warmer Schokolade war es sehr gemütlich!
Mit Dani besuchte Mattias eine Baumaschinen-Ausstellung! Das war für ihn Weihnachten und Geburtstag in einem! Sehr glücklich ist er mit Baggerprospekten und sogar einer DVD über Menzi Muck – für nicht Eingeweihte: das sind Schreitbagger – nach Hause gekommen.

In der Nachbarschaft ist kürzlich ein kleiner Junge an einem Hirntumor gestorben. Es ist so unfassbar und macht wütend! Mattias und Hanna haben gewusst, dass er krank ist und sterben wird. Wir haben viel darüber geredet. Beim Rollenspiel zwischen ihnen war in der letzten Zeit immer das, was der Junge im Kopf hat, und der Tod ein Thema. Als ich von seinem Tod erfuhr, wurde ich sehr traurig und habe geweint. Mattias hat versucht mich zu trösten. Er ist einfach unglaublich. Wir haben gleich zusammen ein Buch über den Tod angeschaut. Warum stirbt ein Mensch, was passiert an einer Beerdigung und was kommt nach dem Tod. Wir haben die Möglichkeit bekommen, uns von dem Jungen zu verabschieden. Bis dahin hatte ich noch nie einen toten Menschen gesehen, überhaupt sehr wenig Kontakt mit dem Tod gehabt. Mattias wollte zu ihm gehen. Wie sieht er denn aus, wenn er tot ist? Wo ist er? Er hatte viele Fragen, aber keine Angst – so wie ich. Die Begegnung war trotz allem schön. Ich bewundere die betroffene Familie, wie offen sie damit umgeht.

Wie kurz ein Menschenleben sein kann, ist mir mit diesem Ereignis sehr bewusst worden. Mit der Diagnose Muskeldystrophie Duchenne hat Mattias ja eigentlich auch sein Todesurteil erhalten. Dani hatte nach dem Arztbesuch, als wir die Diagnose erhielten, gesagt: Jetzt können wir zuschauen, wie er langsam stirbt, das Leben aus seinem Körper geht. Und wir können nichts machen, um es zu verhindern!
Mattias‘ Leben wird wahrscheinlich kürzer sein als das Unsere. Wir wollen es jedoch mit schönen Erinnerungen ausfüllen und Mattias viele gute Erlebnisse ermöglichen. Im Moment ist es für ihn am schönsten, wenn er mit Hanna spielen kann. Oder wenn er mit seinem Papa Bücher über Feuerwehrautos, Geländewagen und Unimogs anschauen und mit ihm über Allradantrieb fachsimpeln kann. Dann ist er glücklich. Was braucht er also mehr?

Januar

Gefühle in Worten auszudrücken ist manchmal schwierig. Seit etwa einer Woche möchte ich nur noch ganz laut SCHREIEN. Einfach schreien bis der Hals weh tut, denn ich mag nicht mehr! Warum fragt sich vielleicht ein Aussenstehender? Mattias läuft ja noch, man sieht ihm nichts an. Mattias geht es schlechter, habe ich den Eindruck. Er mag die Treppe in den oberen Stock nur noch 1 bis 2 Mal im Tag hochklettern. Beim Spielen liegt er häufig auf dem Boden. Er zeigt die Tendenz auf den Zehen zu laufen (Achillessehnen verkürzen sich, gehört zum Krankheitsbild). Anziehen ist für Mattias schwieriger geworden. Er wirkt öfters nachdenklich, nicht mehr so fröhlich. In seiner Stimme ist eine Aggression heraus zu hören, vor allem wenn er mit seiner Schwester und mit mir spricht. Und das mit zu erleben und tut ganz einfach weh im Herzen! Warum ist unser Sohn von dieser elenden Krankheit betroffen?? Wieso darf er kein normales Leben führen? Ich spüre Wut, Verzweiflung, Trauer. Meine Wut ist gross, böse und schwarz. Meine Verzweiflung zerreisst mich. Meine Trauer kann selten als Tränen wegfliessen, sie versteinert mich, macht mich kalt und gefühlslos. Wenn ich mich so fühle, mag ich andere Leute nicht treffen. Auch nicht Freunde. Ich ziehe mich zurück in mein Schneckenhaus und warte, bis es vorbei ist. Es geht vorbei, ich weiss es. Es ist ein Auf und Ab mit Duchenne.

Ich habe eine Bloggerin gefunden, Mutter eines 6-jährigen Duchenne-Buben. Ihre Sprache berührt sehr. Wir haben einander auch lange E-Mails geschrieben und Gefühle ausgetauscht. Es braucht Schwedischkenntnisse um den Blog lesen zu können http://zebbeskamp.blogspot.com/

In der Woche vor unserem Winterurlaub wurden Mattias und ich sehr erkältet. Ich lag sogar zwei Tage mit Fieber im Bett. Das hätte nicht ausgerechnet in der Woche sein müssen! Und in der Nacht vor unserer Abreise bekam Hanna den „falschen Krupp“ (Schwellung der oberen Atemwege, führt zu Atemnot). Wir riefen den Notarzt an, denn sie bekam fast keine Luft mehr. Er schickte uns ins Kinderspital, wo sie Medikamente bekam und dann ging es ihr zum Glück schnell wieder besser. Um 1:00 Uhr morgens waren endlich alle wieder zu Hause und es kehrte Ruhe ein.
Unsere Woche im Reka-Feriendorf in der Lenk war eine gute Wahl, obwohl wir nehmen mussten, was noch zur Verfügung stand, da wir erst sehr kurzfristig buchen konnten. Wir genossen Sonne, blauen Himmel und etwas knappen Schnee. Mitte Woche hat es zum Glück mehr geschneit. Hanna durfte das Skifahren ausprobieren, was ihr gefallen hat. Wir haben einen wunderschönen Spaziergang mit Picknick auf einem Winterwanderweg gemacht. Das Schlitteln auf dem Betelberg hat uns besonders gut gefallen! Die Kinder haben vor Freude geschrien! Mit der Kabine hoch, ein paar Kilometer den Berg runter, dann wieder hoch… Hanna wurde dann auch noch erkältet. Mattias und ich haben nachts jeweils ein Husten-Wettkampf ausgetragen. Die Kinder hatten zudem beide ein paar Mal Fieber. Da ich mit den Kindern alleine war - Dani konnte aufgrund seiner Arbeit leider nicht mitkommen - haben gegen Ende der Woche meine Kräfte nachgelassen und ich war nur noch müde und gereizt. Ich wollte Mattias dieses Jahr unbedingt einen Winterurlaub ermöglichen. Er liebt den Schnee und das Schlitteln. Und er kann noch laufen. Verschlechtert sich seinen Zustand wird er sich nicht mehr mit den dicken Kleidern und den Winterstiefeln bewegen können und dann friert er noch schneller. Wer geht dann noch gerne in den Schnee?? Schwindet die Muskelkraft in seinem Körper wird er auf dem Schlitten nicht aufrecht sitzen können. Winterspass ade!

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